Heikle Mission, klare Lösung

Deutschland gegen Italien – das war 120 Minuten lang taktisch höchst interessant. Der Sieger war der Verdiente.
Zoran  Barisic

Zoran Barisic

Auf den ersten Blick kein Spektakel. Doch für Trainer ein Augenschmaus.

von Zoran Barisic

über GER - ITA

Dieses vorweggenommene Finale war auf den ersten Blick kein Spektakel. Doch für Trainer ein Augenschmaus. Beginnend mit der für mich überraschenden deutschen Aufstellung mit drei Innenverteidigern, entwickelte sich auf taktisch höchstem Niveau der Kampf um diese eine Lösung, die das Tor bringt.

Sehr interessant war, wie ruhig die Italiener verteidigen, solange es 0:0 steht. Darauf werden sie von Kindesbeinen an geschult. Dass Jogi Löw wegen dieser speziellen Spielweise umstellte, ist legitim. Denn die deutsche Dreierkette wurde in der Quali immer wieder geübt.

Ich durfte Löw in Innsbruck kennenlernen. Er folgte auf den erfolgreichen Kurt Jara, der wie eine Vaterfigur für uns Spieler war. Schnell wurde klar, dass Löw nicht nur sportlich ein Großer ist, sondern auch menschlich. Er hat in unserer Finanzkrise bis zum Schluss um den Verein gekämpft, Sponsoren kontaktiert, die Politik angezapft. Und nebenbei war er der Trainer – der nicht zuletzt wegen dieser Wesensmerkmale zum Weltmeister wurde.

Ebenso Positives ist über Antonio Conte zu lesen. Egal, ob es Spieler von Juve sind, oder jetzt die Teamkicker – alle sprechen in höchsten Tönen von ihm. Dass er über das 1:1 jubeln durfte, war aber ein Geschenk von Boateng, einem der weltbesten Innenverteidiger.

Am Ende hat mit Deutschland die für mich in der Offensive etwas stärkere Mannschaft verdient gewonnen.

Frankreichs Prüfung

Auf Frankreich wartet am Sonntag das schwierigste und das leichteste Los zugleich. Nein, lieber Leser, ich bin nicht von Sinnen und drücke mich auch nicht vor einem Tipp: Frankreich wird gegen Island schlussendlich klar ins Semifinale aufsteigen.

Aber dennoch sind die Isländer für den Gastgeber eine ganz heikle Herausforderung. Selten gab es bei einem EM-Viertelfinale so eine klare Ausgangslage. Hier die extrem talentierten Franzosen, die ohnehin zu den Titelfavoriten zählen und gegen Irland nach der Pause wirklich stark zurückgekommen sind. Auf der anderen Seite die größte Sensation des Turniers mit einem Team, das selbst kein Spiel machen kann.

Doch Island hat einen immensen Vorteil: Dieses Team hat schon Geschichte geschrieben, sie können noch unbeschwerter als bisher auftreten. Das Selbstvertrauen ist riesengroß. Währenddessen Frankreich nur verlieren kann, das wäre eine Pleite von historischem Ausmaß. Wie ein schwerer Rucksack kann dieses Siegen-Müssen wiegen, wenn nicht bald die erlösende Führung gelingt.

Was dafür nötig sein wird? Die extrem kompakte Defensive beim 4-4-2 der Isländer muss möglichst stark ins Laufen gebracht werden. Frankreich muss so dominant kombinieren, dass die Flügelspieler des Underdogs nach hinten gebunden sind und ständig verschieben müssen. Dann werden sich in den Halbräumen genau jene freien Flecken ergeben, die Griezmann und Payet für ihre Fußballkunst benötigen.

Unser Gegner Wales

Einige Österreicher, die bei der Auslosung der WM-Qualifikation noch gejubelt haben, werden nach dem 3:1 gegen Belgien mit Schrecken an unseren kommenden Gegner Wales denken. Dieses walisische Team ist für mich auch gegen Portugal kein Außenseiter mehr.

Die Portugiesen haben mich bisher nur gegen Österreich überzeugt. Ansonsten spielen sie entgegen ihrer Mentalität passiv und defensiv. Teamchef Fernando Santos hat die Pressinglinie ungewöhnlich weit nach hinten verlegt. Zwei Gründe fallen mir dafür ein: Zum einen sind die Offensivkünstler Ronaldo, Nani und Quaresma keine Pressing-Maschinen. Zum anderen drohen den langsamen Innenverteidigern dadurch weniger Laufduelle.

Mit präzisen, schnellen Vorstößen ist Portugal dennoch verwundbar. Dafür wäre bei Wales Aaron Ramsey prädestiniert. Doch dieser wunderbar komplette, technisch feine und taktisch clevere Teamplayer ist leider gesperrt. Also geht Portugal doch mit einem kleinen Vorteil in dieses Semifinale.

sport@kurier.at

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