Könnten Sie bitte alle kurz rausgehen?

Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann

Auf den Spuren der Ahnen, hab ich mir gedacht, und wenn ich sie nicht finden sollte, dann vielleicht wenigstens ein Stück von mir.

von Barbara Kaufmann

über meinen Großvater

Italien ist mein Sehnsuchtsland. Nicht wegen der Kindheitserinnerungen, die so viele auf längst verblichenen Polaroids in Kisten am Dachboden lagern. Sondern wegen eines Italieners, meines Großvaters. Eigentlich war er nur ein "halber" Italiener, "aber", pflegte er dann zu mir zu sagen und dorthin zu zeigen, wo er das Herz in seinem Brustkorb vermutete, "da drin ist ganz Italien". Das war natürlich übertrieben, aber es war schön, sich das vorzustellen. Dass ein ganzes Land mit seinen Stränden, Küsten und Tälern in die Brust eines Menschen passte.

Als er vor drei Jahren kurz vor seinem 90. Geburtstag starb, hinterließ er meiner Großmutter ein wenig Geld, das sie unter den Enkeln aufteilte. Damit sie es anlegten für harte Zeiten oder es in etwas Vernünftiges investierten, eine Zusatzversicherung, eine Anzahlung für eine Eigentumswohnung oder ein Zahnimplantat.

Auf den Spuren der Ahnen

Vor einem Jahr beschloss ich, dass die Zeiten hart genug waren und da das Leben doch sehr endlich ist, hab ich das Geld für etwas ausgegeben, das meinem Großvater sicher gefallen hätte: für Reisen nach Italien. Auf den Spuren der Ahnen, hab ich mir gedacht, und wenn ich sie nicht finden sollte, dann vielleicht wenigstens ein Stück von mir. Ich war in Rom, in Pisa, in den Cinque Terre, an der ligurischen Küste, in Triest und jetzt gerade fahr ich durch die Toskana. Florenz, Siena, San Gimignano, danach in die Maremma und ans Meer.

Wahrscheinlich war es die unrealistische Erwartungshaltung gepaart mit Sentimentalität und Ahnungslosigkeit, aber irgendetwas ist schrecklich schief gelaufen in meinem Sehnsuchtsland. Den Tourismus betreffend oder besser gesagt die Touristen. Denn – ja, ich weiß wie absurd das klingt, wenn man selbst einer ist – es sind einfach zu viele. Während man in Rom noch gut in eine verlassene Gasse in Monti flüchten kann, ist es im engen Florenz beinahe unmöglich, in den Cinque Terre aussichtslos. In den Uffizien hat mir eine Gruppe Jugendlicher den Blick auf die Medusa des großartigen Caravaggio versperrt, die sich hauptsächlich selbst fotografierte. "Say Cheese like Leonardo!". In Portofino fühlte ich mich wie in einer Warteschlange vor einem Konzert, nur ohne Halle, in der sich das Gedränge auflöst. Und in Vernazza, dem schönsten Dörfchen der Cinque Terre, saß ich erschöpft vor einem Eisgeschäft, vor mir und hinter mir Touristen, als mein Mann neben mir plötzlich verzweifelt schrie: "Könnten Sie alle bitte kurz rausgehen?"

Reisegruppen

Ich hab ihn verstanden. Gelangweilte Teenager, die lustlos durch die Gassen schlurfen, deren Eis auf meinen Unterarm tropft, während ich mir den Hals verrenke, um einen Blick auf die Türme von San Gimignano zu erhaschen. Reisegruppen, die im Dom von Siena schon am Eingang aufgeregt die Handys zücken und einem dabei den Ellbogen in die Seite rammen.

Natürlich gibt es auch ruhige Momente. Abends auf den Bauernhöfen der Toskana oder nachts in Florenz in einer Bar, in der wir die letzten Gäste sind und der Besitzerin lauschen, die sich über die Tagesausflügler beschwert. Wir sind auch Touristen, sagen wir dann. Und sie lacht, gibt uns ein Glas Wein aus und nickt gnädig. "I know."

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