Kickls Demokratie – ohne Rechtsstaat?

Demokratie und Rechtsstaat gehören zusammen. Schlimm, wenn der Innenminister das nicht versteht.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Wir müssen Herbert Kickl dankbar sein. Normalerweise läuft die Dramaturgie von FPÖ-Provokationen so ab, dass auf eine radikale Forderung Aufregung folgt und dann das Thema schnell vorbei ist. So werden die Grenzen verschoben – bis zum nächsten Mal. Diesmal hat der Innenminister im ORF, aggressiv wie als Oppositionspolitiker, einen Satz formuliert, den das Land länger diskutieren wird: „Ich glaube immer noch, dass der Grundsatz gilt, dass das Recht der Politik zu folgen hat und nicht die Politik dem Recht.“ Justizminister Josef Moser widersprach und legte einen seltenen Streit in der Koalition offen: „Das Recht geht vor, die Vollziehung hat sich an das Recht zu halten.“

Demokratie bedeutet nicht, dass die Mehrheit in einem Land etwas beschließt, ohne sich um internationale Verträge und um das komplexe Zusammenspiel eines Rechtsstaats zu kümmern. Dazu gehört auch die Trennung von Gesetzgeber und Verwaltung. Kickls Aussage, „dass wir doch nicht mit Dingen aus den 50er-Jahren herumtun können“, stellt ihn außerhalb des Verfassungsbogens, wie der damalige Justizminister Wolfgang Brandstetter über den Oppositionspolitiker Kickl formulierte, als dieser die Menschenrechtskonvention infrage gestellt hat. Diese steht nicht nur im Verfassungsrang, sondern ist auch ein völkerrechtlicher Vertrag. Österreich kann diesen nicht einseitig ändern. Und über das Parlament sagte Kickl beim Wieselburger Volksfest am 29. Juni 2017: „Das sogenannte Hohe Haus ist schon lange nicht mehr das Haus des Volkes.“

Wie der angebliche „Wille des Volkes“ den Rechtsstaat zerstört, das kennen wir aus der Geschichte. Da muss man schon genau hinhören, etwa wenn FPÖ-Vordenker Andreas Mölzer in einer deutschen Dokumentation über Burschenschafter sagt: „In Deutschland sind das zu 90 Prozent biedere bürgerliche CDU-Wähler, wir sind als Revolutionäre ein bisschen anders.“ Dann fügt er ein „Na, net wirklich“ hinzu, aber sein verschämtes Lächeln entlarvt ihn. Der Revolutionär meint es schon so.

Macht und Verantwortung im Widerspruch

Auch das Studium von rechtsextremen Websites zeigt, was Demokratie und Rechtsstaat droht. Eine FPÖ-nahe Seite, von wo Kickl Personal rekrutiert hat, veröffentlicht Postings, wo die CDU „kapitalistisch-faschistisch“ genannt wird, die Europäische Union ist die „Nazi-EU“ und dann wird ein Film im Internet beworben, der unsere angebliche Zukunft aufzeigt: Wir werden alle Sklaven, enteignet und zwangsgeimpft, während eine Weltregierung errichtet wird. Wo? Na klar – in Jerusalem.

Hoffentlich denken nicht viele in der FPÖ so, aber ihre Medien und Kickls Radikalität befeuern den „Narrensaum“, wie es verniedlichend heißt. Kanzler Kurz hat mit Kickl gesprochen, hieß es. Der schien unbeeindruckt, was die ÖVP nicht stört. Soll sich die FPÖ weiter radikalisieren, das kann der ÖVP nur nützen – und mal die Chance für einen Absprung geben. Machtstrategisch ist das klug gedacht, verantwortungsvoll aber nicht.

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