Nachts, wenn es still wird

Niemand wusste von den Dämonen, mit denen er zu kämpfen hatte.
Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann

Niemand wusste von den Dämonen, mit denen er zu kämpfen hatte.

von Barbara Kaufmann

über Nachts, wenn es still wird.

Es war ein Tag der Täuschungen. Draußen vor dem Fenster des Cafés schien die Sonne täuschend warm, als wäre es schon Frühling. Drinnen im Café saß Felix und lächelte ein schiefes Lächeln, so täuschend echt, als würde seine Hand nicht zittern, während er den Kaffee umrührte. Und fast hab ich es ihm geglaubt.

Felix trug ein weißes Hemd mit hohem Kragen wie immer. Er hatte viele weiße Hemden, auf denen nie ein Fleck zu sehen war, auch wenn der Tag schon fast vorüber war wie heute. Manchmal, wenn es kalt war in dem Gassenlokal, in dem er arbeitete, trug er eine schwarze Strickjacke über dem Hemd. Aus dickem groben Wollstoff, der in seltsamen Kontrast stand zu seinen zarten Gesichtszügen und den sanften Augen.

„Felix“, sagte er, nahm einen Schluck Kaffee und sah mich hilflos an, „ist doch „der Glückliche“, oder? Ich müsste doch ein Glückskind sein.“ Aber Felix war nicht glücklich. Sein Lächeln wurde geisterhaft, sein Blick wanderte nach draußen. „Was mach ich falsch?“, fragte er und seine Stimme klang verzweifelt und eindringlich zugleich. Als würde es eine einzige Antwort darauf geben, die, wenn er sie endlich finden würde, alles erklären könnte. Alles, was ihn quälte.

Felix machte nichts falsch. Er war ein guter Partner, Vater, Freund. Er konnte nicht nur zuhören, er tat es auch gerne. Er gab Menschen das Gefühl, dass sie ihm wirklich wichtig waren. Nicht aus Berechnung, sondern weil es die Wahrheit war. Felix war erfolgreich. „Er hat es geschafft“, sagten unsere Freunde über ihn und meinten damit, dass er machte, was er gerne tat und davon leben konnte.

Dämonen

Doch kaum jemand wusste, was nachts geschah, wenn es still war und die Dämonen kamen. Keine Geister aus alten Märchen, keine Gespenster aus früheren Zeiten, sondern Ängste, Sorgen, Panik. Deshalb fuhr Felix immer mit dem Rad, weil er seit Monaten in keine U-Bahn steigen konnte. Deshalb entschuldigte er sich in Sitzungen. Weil sein Herz so stark klopfte, dass er glaubte, es müsste zerspringen. Deshalb trank Felix nicht ein Feierabendbier, sondern drei oder vier, weil die Angst dann kurz verschwand, nur um nachts wiederzukommen. Deshalb ging er auf keine Konzerte mehr, weil die vielen Menschen im Raum ihm die Luft abschnürten.

Niemand ahnte wie anstrengend es für ihn war, diese Gefühle ständig zu verbergen. Wie viel Kraft es ihn kostete, freundlich lächelnd im weißen Hemden ohne Flecken täglich in der Arbeit zu erscheinen, das Kind ins Bett zu bringen, die Partnerin zu beruhigen, die sich um ihn sorgte. So wie ich und ein paar andere, die eingeweiht waren. „Ich fang jetzt vielleicht mit einer Therapie an“, sagte er und sah mich unsicher an. „Gut“, nickte ich, nahm seine Hand, die noch immer zitterte und drückte sie leicht. Als er sie zurückzog, stieß er gegen die Kaffeetasse und der Kaffee schwappte über. Nur ein Tropfen, kaum sichtbar, spritzte auf sein weißes Hemd.

„Lass nur“, sagte ich, „die Farbe passt zu deinen Augen.“ Felix legte die Serviette weg, nach der er automatisch gegriffen hatte und lächelte. Es war kein schiefes Lächeln und kein angestrengtes, sondern ein trauriges. Und diesmal glaubte ich es ihm. Und war froh, dass er es mir zeigte.

barbara.kaufmann@kurier.at

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