Heimweh

Wenn die Eltern im Heim sind, geht es manchmal nur darum, einfach da zu sein.
Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann

Wenn die Eltern im Heim sind, geht es manchmal nur darum, einfach da zu sein.

von Barbara Kaufmann

über Heimweh.

„Eigentlich“, sagte mein Freund im Herbst zu mir als man tagsüber noch keine dicke Jacke brauchte und wir gemeinsam im T-Shirt am Spielplatz saßen, „sind es gar nicht die Kinder, durch die man merkt, dass man älter wird. Weil man ja irgendwie mit ihnen mitwächst. Es sind die Eltern.“

Sein Vater kam damals ins Heim, weil es nicht mehr anders ging. Er lebt in einer anderen Stadt und will auch dort bleiben. Man kann Menschen nicht einfach umtopfen wie Balkonpflanzen. Erst recht nicht, wenn sie mit einem Ort verwachsen sind seit ihrer Kindheit. Also telefoniert mein Freund täglich mit ihm, zumindest zehn Minuten oder wie lange es eben für beide gutgeht. Es sind meist belanglose Gespräche über das Essen, das Wetter, die Medikamente, die anderen Heimbewohner, die Pflegerinnen, die Fußballergebnisse der Regionalliga.

Manche Gespräche sind traurig. Weil der Vater weg möchte, zurück in die Wohnung in der Stadt und sich mein Freund daran erinnert wie er damals vom Schikurs nach Hause wollte, weil er so unglücklich war und sein Vater sich mitten in der Nacht ins Auto gesetzt hatte, um ihn zu holen. Dann tut es ihm weh, dass er ihn nicht einfach abholen kann und zurück nach Hause bringen. Und er versucht ihn zu trösten. Damit dass das Heim schön liegt, was es wirklich tut, im Grünen mit Blick auf die Berge. Doch der Vater wäre lieber wieder in der Stadtwohnung, die an der Hauptstraße liegt, in der die alten Türen knarren und die Gläser im Wohnzimmerkasten klirren, jedes Mal wenn ein Laster vorbei fährt.

Telefonate

Manchmal sind die Telefonate schwierig. Alte Konflikte zwischen ihnen tauchen plötzlich wieder auf, obwohl sie fast schon vergessen schienen oder zumindest gut verdrängt. Dabei nehmen sie sich immer wieder vor, nicht mehr zu streiten. Weil sie wissen, dass ihnen nicht mehr die Zeit bleibt, um alles auszusprechen, was ungesagt geblieben ist. Weil sie es gerne harmonisch, schön und friedlich hätten miteinander und dann doch einsehen müssen, dass zwischen Eltern und Kindern manchmal zu viel passiert ist. Und manches nicht mehr gut wird. Auch wenn man es sich wünscht.

Trotzdem ruft mein Freund jeden Tag an, um den Vater kurz zu hören. Er tut das nicht für ihn, sagt er, sondern für sich. Um später einmal etwas zu haben, an das er sich erinnern kann.

Als mein Vater noch lebte und im Heim war und oft nicht mehr wusste, wo er war und wer gerade, gab es einen Moment an einem Nachmittag, da hab ich ihn in seine Steppjacke gepackt und seinen Rollstuhl in den Hof geschoben, neben die eingewinterten Rosensträucher und mich auf die Bank neben ihn gesetzt. Und wie wir da so saßen, uns die Sonne ins Gesicht schien und er plötzlich die Augen schloss und so entspannt aussah wie früher, als wir zusammen am Meer gewesen waren im Sommer, da wusste ich, dass ich an diesen Augenblick denken würde, wenn er einmal nicht da sein würde. Und so ist es auch.

Manchmal kann man nichts mehr klären, auch wenn man es möchte. Manches bleibt unausgesprochen, ein Leben lang. Manchmal geht es nur darum, einfach da zu sein. Ohne Wut, ohne Schuldgefühle, ohne Erwartungen mit dem anderen zu sein. Um später erzählen zu können, anderen aber vor allem sich selbst, dass er da war.

barbara.kaufmann@kurier.at

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