Der letzte Krampus
Sie sahen aus, als wären sie direkt einem meiner Albträume entsprungen.
Wenn man sich zusammengekauert im Schnee hinter einer Mülltonne vor einer Gruppe Krampusse versteckt, hat man viel Zeit zum Nachdenken. Darüber, wie man den Krampus in Erinnerung hat und warum man eigentlich nie auf die Idee gekommen ist, dass es auch andere Exemplare geben könnte als jene aus den Kindheitstagen. Da war der Krampus ein harmloser, ein wenig lächerlich wirkender Begleiter vom Nikolaus, der Jahr für Jahr seinen großen Auftritt im Kleinstadtkindergarten hatte. Dargestellt von einer bemühten, betagten Tante, die sich mehr schlecht als recht verkleidete, aber wirklich alles gab, um möglichst schauerlich zu wirken. Die rote Pappmachémaske, die schwarze Perücke und der zerfledderte schwarze Pelzmantel waren dabei keine große Hilfe. Die arme Tante wirkte nicht sehr furchterregend. „Ja, ja“; lachten wir Kinder abgeklärt, wenn sie den Raum betrat und die leider etwas mickrige, schwarze Plastikkette schüttelte, „da kommt die Krampustante!“
So fuhr ich also völlig ahnungslos diese Woche auf Winterurlaub ins Gasteinertal, einer „Krampus-Hochburg“ wie mir die Bäckerin erklärte. „Oh, wie nett“, sagte ich noch nichtsahnend lächelnd, weil ich mir das wie eine Geschichte von Astrid Lindgren vorstellte. Das Tal, in dem nur Krampusse wohnten. Bis ich den ersten begegnete. Wir saßen im Auto und bogen in die Dorfstraße ein, es war am Vorabend des Krampustages, da kamen sie auf uns zu.
Albträume
Sie sahen aus als wären sie direkt einem meiner Albträume entsprungen. Überlebensgroße Gestalten in schwarzen Fellen mit schaurigen Masken und langen Hörnern. Um die Mitte trugen sie große Schellen, die bei jeder Bewegung ein unglaubliches Getöse verursachten. Allein dieses Geräusch war schon unheimlich. Sie kreisten uns ein, klopften mit ihren Ruten, die so gar keine Ähnlichkeit mit der schwarzen Plastikkette des Kindergartenkrampus hatten, gegen die Scheiben. Verglichen mit diesen Ungetümen wirkten Monster aus TV-Serien wie Stofftiere. Als sie weiterzogen, schlug mein Herz bis zum Hals. Am nächsten Tag, dem Krampustag, ging es schon am Nachmittag los. Der große Krampuslauf durchs Dorf. Ständig hörte man die lauten Schellen, mal etwas weiter weg, mal unheimlich nahe. Schließlich wollte ich die Truppe sehen, die da durch die Straßen zog, begleitet von einer großen Kinderschar, die teils völlig unbeeindruckt vor den dunklen Gestalten her lief. Ich ging auf die Straße in die Richtung des Lärms, stand allein in einer Gasse und genau in diesem Moment bogen sie ums Eck und kamen auf mich zu. Ohne nachzudenken sprang ich schnell hinter eine Mülltonne. Da saß ich jetzt während die wilde, laute Truppe an mir vorüberzog, ihre langgezogenen Schreie ausstieß und fühlte mich nicht sehr mutig.
Gerade als ich mich endlich hervorwagte, kam ein Nachzügler des Weges. Der letzte Krampus der Gruppe. Ganz allein und schon sehr erschöpft schlurfte er hinten nach. Er hob seine Maske etwas an, schnappte nach Luft und bemühte sich, den anderen nachzukommen. Als er mich sah, hob er seine Rute halbherzig in meine Richtung, ließ mich dann aber doch stehen und stolperte müde weiter. Es kann auch sehr anstrengend sein, dachte ich mir, ein Monster zu sein.
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