In neuen, alten Grenzen gefangen

Martina Salomon
Für ein Tourismus- und Exportland wie Österreich ist die Situation kaum erträglich
Martina Salomon

Martina Salomon

Da war doch mal was! Wie stolz waren wir, die Grenzen in Europa überwunden zu haben. Ja, der Nationalismus wucherte erschreckend, doch mit vernünftiger Politik würde man ihn schon eindämmen. Aber offenbar waren die Grenzen nie ganz weg, sonst wären sie jetzt nicht so schnell auferstanden – selbst dort, wo man sie nicht mehr erwartete. Der Föderalismus feiert fröhliche Urständ: Bundesländer gegen Wiener, Wien gegen Bund (Stichwort Bundesgärten!). Und, ja, natürlich die EU der Mächtigen (Deutschland, Frankreich) gegen den Rest. Letzteres ist nicht neu, derzeit aber wieder gut sichtbar. Etwa, wenn ein Okay aus Brüssel für Österreichs eilig gezimmerte Not-Fördertöpfe endlos dauert. Man soll die EU nicht schlechtreden, meinte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Donnerstag im EU-Parlament zu Recht. Dieser Tage fällt das jedoch besonders schwer.

Ein chinesisches Virus samt fataler Desinformationspolitik im „Reich der Mitte“ hat uns alle möglichen Grenzen aufgezeigt. Aber die Regierung in Peking dafür zur Verantwortung zu ziehen, wagt niemand (außer Trump, aber der befand sich schon davor im Wirtschaftskrieg mit China). Zu eng sind die ökonomischen Verflechtungen, und China ist für beinharte Vergeltungsmaßnahmen gefürchtet.

Das Virus hat Misstrauen zwischen Staaten und Barrieren zwischen Menschen gebracht. Klar kann man per Videokonferenz alles Mögliche besprechen. Aber die Qualität des persönlichen Gesprächs wird einem gerade bewusst. Digital ist kein vollwertiger Ersatz für analog und menschlicher Kontakt unersetzlich: Keine Besuche im Spital, im Pflegeheim, bei den Großeltern, und Kinder, die ihre Freunde nicht treffen dürfen – das ist buchstäblich „unmenschlich“. Dazu kommen Hunderttausende, die um ihre Existenz zittern.

Verständlich, dass die Ungeduld steigt. Immerhin sind die Neuinfektionen in Österreich jetzt Gott sei Dank auf stabil niedrigem Niveau. Aber wenn zum Beispiel mit einem Schlag alle Schulen aufsperren, könnte sich das Virus neuerlich schnell verbreiten und einen zweiten Shutdown erzwingen – wo doch schon der jetzige verheerend genug ist. Weil niemand weiß, was passieren wird, tasten sich fast alle Länder irgendwie im Gleichschritt übervorsichtig und experimentierend voran. „Grenzgänger“ gelten überall als potenzielles Risiko, die das Virus wieder einschleppen könnten. Die Tschechen überlegen sogar einen „Korridor“, damit (gesunde) Kroatien-Urlauber heuer an die Adria fahren können.

Für ein Tourismus- und Exportland wie Österreich ist das alles kaum erträglich. Nie war der Wert des grenzenlosen Europas und auch der Freiheit, in die entlegensten Winkel der Welt zu reisen, stärker fühlbar. Errichten wir jetzt keine neuen Grenzen! Auch nicht im Kopf.

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