Zypern 1974: Die normative Kraft der Aggression

Griechischer Panzer in Nikosia nach dem türkischen Einfall
Fünfzig Jahre nach der türkischen Invasion bleibt eine offene Wunde in der EU. Ein Gastkommentar von Johannes Schönner.

Vor genau fünfzig Jahren besetzte die Türkei den nördlichen Teil Zyperns. Gleichsam eine militärische „Spezialoperation“, die von Ankara von langer Hand vorbereitet war und an deren Legitimität für die türkische Seite bis heute kein Zweifel besteht. Dass Nordzypern international isoliert ist und bloß vom „Mutterland“ anerkannt wird, stört Nordzypern keinesfalls. Mittlerweile ist die Republik Zypern (Südzypern) Mitglied der EU und paradoxerweise sind Griechenland und die Türkei als die beiden jeweiligen „Mutterländer“ Mitglieder der NATO.

Zypern 1974: Die normative Kraft  der Aggression

Johannes Schönner

Eine martialische Grenze („Grüne Linie“) trennt Nikosia und die ganze Insel in zwei Teile. Die Situation ist noch heute die traurige Folge latenter Spannungen zwischen griechischen und türkischen Zyprioten, die der 1960 aus der britischen Kolonialherrschaft entlassenen Mittelmeerrepublik von Anfang an zu schaffen gemacht haben. Ihren dramatischen Höhepunkt erreichten die blutigen Auseinandersetzungen mit Tausenden Toten im Sommer 1974, als die Türkei einen von der damaligen Athener Militärjunta gegen den Zypern-Präsidenten Erzbischof Makarios inszenierten Putsch dazu nutzte, mit einer Streitmacht von etwa 25.000 Mann den Norden zu besetzen.

In den folgenden Jahren wechselten Vermittlungsversuche von Europäern, USA, Europarat und der UNO einander ab. Das Ergebnis ist bis heute eine harte Grenze, die eher an die Zeit des Kalten Krieges erinnert als an europäische Integrationsvorstellungen der Gegenwart.

1974 überschlug sich das Europa in Verurteilungen Ankaras und der nordzypriotischen Politiker, die das „Mutterland“ um Hilfe riefen. Es folgten wirtschaftliche Sanktionen der EG gegen den türkischen Aggressor. Bemerkenswert war aber ein fehlender Ordnungsruf aus Washington, was wohl damit zusammenhing, dass man innerhalb der NATO mitten im Kalten Krieg kein weiteres Störfeuer brauchte. Die türkischen Luftbasen waren für Amerika zu wichtig.

Interessanterweise waren 1974 alle politischen Gruppierungen innerhalb der Türkei einer Meinung. Die damals noch allmächtigen türkischen Militärs teilten die Einschätzung einer notwendigen Invasion Zyperns mit den Kemalisten und den religiösen und nationalen Kreisen in Ankara. In den folgenden Jahren brachte Ankara mehr als 100.000 anatolische Neuansiedler in den Nordteil, um die Machtposition weiter einzuzementieren.

Schließlich arrangierte sich das oftmals pragmatische Europa mit den Gegebenheiten, selbst als Griechenland 1981 Mitglied der EG wurde. 2004 wurde Zypern EU-Mitglied. Damit wurde (juristisch) das Gebiet der Türkischen Republik Nordzypern ein Sondergebiet der EU. De facto endet das Gemeinschaftsrecht aber immer an der „Grünen Linie“.

Die Haltung der EU war seit Jahrzehnten weich und schob die eigene Verantwortung beiseite. Vielmehr sollte jede Lösung von Nord- und Südzypern bzw. Athen und Ankara gefunden werden. Europa hat gelernt, mit Aggressoren zu leben. Wird eine Zeit kommen, in der auch bei anderen aktuellen Konflikten bilaterale Kompromisse eingefordert werden?

Johannes Schönner ist Geschäftsführer des ÖVP-nahen Karl von Vogelsang-Instituts

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