Zeit für die gute Mitte
Allen Verantwortlichen in den politischen Parteien, die die berechtigte Sorge über das Wahlergebnis der FPÖ teilen, möchte ich einige Aspekte zu bedenken geben. Diese Aspekte ergeben sich aus der statistischen Analyse der österreichischen Wahlergebnisse ab 1979. Diese Aspekte sind heute wichtiger denn je, denn die internationale Lage spitzt sich dramatisch zu.
Die FPÖ ist in allen von ihr mitgetragenen Koalitionen an internen Streitigkeiten (1986, 2002) oder dem Ibiza-Skandal (2019) gescheitert. Damit hat sie hinlänglich bewiesen, dass sie mit ihrer Nähe zu den deutschnationalen Burschenschaften nicht nur ein „Vergangenheitsproblem“ hat, sondern auch ein Gegenwartsproblem: Sie kann nicht regieren.
Jetzt hat Bundeskanzler Karl Nehammer einen Rat verdient: Die ÖVP hat 2008 und 2013 ein schlechteres Wahlergebnis erzielt als 2024 und lag 1999 – als Kanzler Wolfgang Schüssel mit seinem Husarenstück als Dritter die Kanzlerschaft „eroberte“ und mit ihr im Gegensatz zu Sebastian Kurz alle sicherheitsrelevanten Ministerien besetzte – und das nur um 0,3 Prozentpunkte – besser als Nehammer am 29. 9. 2024. Seit Beginn der 1990er-Jahre hat die ÖVP praktisch nur einen „Grundsockel“ von weniger als 30 Prozent der Wählergunst. Nur unter Schüssel 2002 und Kurz 2019 gab es diese großen Erfolge von deutlich mehr als 30 Prozent. Und das auf dem Trümmerhaufen einer gescheiterten FPÖ. Das waren reine Ausnahmen.
Jetzt zum SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler: Seine parteiinternen Fallensteller sollten bitte einmal innehalten. Die SPÖ befindet sich seit 1979 in einem beinahe linearen Sinkflug, nur unterbrochen durch kleine Plus von mehr als 3 Prozent unter Vranitzky 1995 und Gusenbauer 2002. Die traurige Wahrheit ist, dass die SPÖ jedes Jahr um 0,6 Prozent der Wählergunst schrumpft. Das sage ich mit einer Erklärungskraft von über 90 Prozent der SPÖ-Wahlergebnisse. Wer auf dieser Rutschbahn sitzt, hat wahrlich keinen Grund, den Parteivorsitzenden zu beneiden. Bablers Spielraum ist sehr eng. Er sollte sich am besten auf die sozialpartnerschaftliche Expertise von Arbeiterkammer und ÖGB verlassen. Da geht er sicher. Weiter links stehende Perspektiven haben keine Chance.
Und der Rest? Eine Dreierkoalition wäre sozialpsychologisch sicher besser als die alte Große Koalition. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger oder Werner Kogler (Nehammer wird aber kaum mehr mit den Grünen koalieren wollen) müssen jetzt vor allem sicherstellen, dass in den kommenden Verhandlungen und Gesprächen die Gefahr des Islamismus berücksichtigt wird: Auch die 19.309 Stimmen für die Hamas-nahe „Liste Gaza“ dienen als Mahnung.
Es ist jedenfalls höchste Zeit, dass eine staatspolitisch verantwortliche und tragfähige Regierung der Mitte rasch gebildet wird.
Arno Tausch ist ein österreichischer Politikwissenschafter
Kommentare