Was wäre, wenn es die EU von heute auf morgen nicht mehr gäbe?

Was wäre, wenn es die EU von heute auf morgen nicht mehr gäbe?
Ein TV-Gedankenexperiment von Joko & Klaas zeigt die Zukunft ohne den Staatenbund. Ein Gastkommentar von Daniel Dettling.

Erinnern Sie sich noch an den Brexit? Kaum jemand hatte vor acht Jahren auf einen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs gewettet. Auf 13 Prozent schätzten die Wettbüros damals die Wahrscheinlichkeit. Was wäre, wenn es die EU von heute auf morgen nicht mehr gäbe? Ein 27-facher „Exit“ am Tag der Europawahl? Wenn sich am 9. Juni sämtliche EU-Gegner in allen Staaten durchsetzen?

Zur besten Sendezeit hat das deutsche TV-Duo Joko & Klaas am 15. Mai auf ProSieben ein dystopisches Gedankenexperiment zu diesem Szenario veranstaltet und dazu Expert/innen befragt. Der 15-minütige Beitrag beginnt mit einem Nachrichtentext: „Völlig überraschend haben sich in sämtlichen europäischen Nationen die EU-Gegner durchgesetzt. Alle 27 Mitgliedsländer haben sich für die sofortige Auflösung des Staatenbundes entschieden. (...) Damit sind alle EU-weit gültigen Gesetze, Normen und Förderungen außer Kraft gesetzt. Jede Nation ist nun in der Einzelverantwortung, wie mit den unvorhersehbaren Folgen und Auswirkungen umzugehen ist. Fassungslos und mit großer Sorge blicken Experten in die Zukunft.“

Was wäre, wenn es die EU von heute auf morgen nicht mehr gäbe?

Daniel Dettling war einer der Experten, die für das Fernsehexperiment von Joko und Klaas befragt wurden. Die beiden hatten 15 Minuten Sendezeit bei "Joko & Klaas gegen ProSieben" gewonnen

Die Folgen schon nach wenigen Stunden: Ein Börsenschock als Antwort auf die Unsicherheit bei Wirtschaft, Märkten, Politik und dem Rest der Welt. Immer mehr Länder schließen die Grenzen aus Angst vor ungeregelter Migration und Lieferengpässen, Reisefreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit sind passé. Die Lieferketten brechen zusammen, eine Just-in-time-Produktion ist aufgrund der Grenzkontrollen nicht mehr möglich. Soldaten und Militär schützen die nationalen Grenzen. Menschen, die in Grenzregionen arbeiten, kommen nicht mehr ohne Weiteres über die Grenze zu ihrem Arbeitsplatz, egal ob Polen, Tschechien, Österreich, Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland oder Dänemark. Der Arbeitskräftemangel spitzt sich vor allem bei Krankenpflege, Erzieher/innen, Kraftfahrern, Altenpflege, Gastro-Service, Reinigungskräften, Bauarbeitern, Logistik und Transport zu.

Nach wenigen Monaten beginnen erste Staaten mit der Einführung nationaler Währungen. Deutschland als wirtschaftsstarkes Land wird von den Finanzmärkten um 30 Prozent aufgewertet; der Export von Waren deutscher Unternehmen bricht zusammen. Der Austritt kostet jeden Bürger um die 5.000 Euro im Jahr. Geopolitisch verliert Europa an Einfluss. Die USA, China, Russland, aber auch Indien und Brasilien erstarken und gewinnen an Einfluss. Die NATO zerfällt, eine Europäische Sicherheitspolitik und gemeinsame Sicherheitspolitik ist aufgrund der Kleinstaaterei nicht mehr möglich. Die Verteilung von Ressourcen, Bodenschätzen und Arbeitskräften findet komplett an Europa vorbei statt, die Supermärkte werden zunehmend leer. Umweltschutz kann sich kein Land mehr leisten.

Wie vor 150 Jahren, als über 30 Millionen Europäer flüchteten, dominiert in vielen Regionen Massenarbeitslosigkeit, Armut und Hunger. Immer mehr, vor allem Jüngere, wandern aus nach Amerika oder China auf der Suche nach einer besseren Zukunft.

Geschichte wiederholt sich nicht? Das haben wir alle in der Hand. Am 9. Juni ist Europawahl.

Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und leitet das von ihm gegründete Institut für Zukunftspolitik.

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