Was „christlich-sozial“ bedeutet und was nicht

Was „christlich-sozial“ bedeutet und was nicht
Zur Kritik an der Verwendung des Begriffs durch SPÖ-Chef Babler. Ein Gastkommentar von Josef Christian Aigner.

ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker kritisierte kürzlich SPÖ-Chef Andreas Babler wegen dessen Bemerkung im KURIER, „christlich-sozial verankert“ zu sein. Dagegen hält er Babler dessen Aussagen gegen Kruzifixe als einstiger SJ-Funktionär und seinen „Marxismus-Sager“ vor.

Nun ist die ÖVP selbst nach theologischer Auffassung weit von allem Christlich-Sozialen entfernt. Sie vertritt heute bestenfalls ein inhaltsarmes traditionelles Taufschein-Christentum, dem in seiner „Evangeliumsvergessenheit“ die christliche Soziallehre fremd ist. Die von Babler betonten Unrechtsverhältnisse scheinen diese „Christen“ deshalb nicht zu kümmern: die wachsende Reich-Arm-Schere, Wohnungsnot und Kinderarmut, eine unwürdige Zweiklassen-Medizin und anderes mehr. Und auch wenn diese Probleme fast wöchentlich durch aktuelle Studien Bestätigung erfahren – sie passen nicht ins bürgerliche Weltbild der Schwarzen.

Was „christlich-sozial“ bedeutet und was nicht

Josef Christian Aigner

Sehr wohl passt diese Problemsicht zu einem entschiedenen Engagement für die Ärmsten und sozial Schwachen, wie es auch der gegenwärtige Papst immer wieder fordert. Diese Option wiederum stützt sich unter anderem. auf gesellschafts- und wirtschaftspolitische Analysen, für die schon der alte Karl Marx wichtige Grundlagen geliefert hat. Viele Konservative, die sich (mehr oder weniger gebildet) nun über „den“ Marxismus aufregen, wissen aber gar nicht, wogegen sie da schimpfen. Nur so viel: mit den sich auf Marx beziehenden menschenfeindlichen Regimen von einst haben diese Analysen ebenso wenig zu tun wie christliche Werte mit dem ÖVP-Parteistatut.

Lobby

Was nämlich die Lobby-Rolle für die Reichsten und der Widerstand gegen jede Form von deren Besteuerung mit dem Adjektiv „christlich-sozial“ zu tun haben soll, können in der ÖVP nicht einmal Bibelkundige wie die katholisch-fundamentalistische Abgeordnete Gudrun Kugler erklären.

Auch Susanne Raabs Ignorieren der erschreckenden Familienarmut und einer Kindergrundsicherung ebenso wie der zynische Verweis des Bundeskanzlers Karl Nehammer auf billige 1,40 Euro-Burger anstatt gesunder Mahlzeiten für Kinder kommen im Kodex christlich-sozialer Ideale nicht vor. Auch nicht, dass jemand wie Andreas Khol Flüchtenden die Nächstenliebe verweigert (das sei „Fernstenliebe“) und auch nicht, sich aus einseitiger Rücksicht auf die Ökonomie beharrlich über die ökologische Bedrohung „des gemeinsamen Hauses“ (Papst Franziskus) hinwegzusetzen. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Lässlich

Dagegen sind Äußerungen wie die Bablers gegen Kruzifixe vor x-Jahren wirklich lässliche Sünden. Wie heißt es doch: Nicht an ihren Worten, „an ihren Taten sollt ihr sie erkennen!“ (1. Johannes 2,1-6). In der ÖVP sehe ich im Vergleich zu den Vorhaben Bablers nichts davon. Vielleicht wäre ein bisschen weniger „Sozi-Fresser“-Mentalität wie die des Herrn Stocker ja eine Chance, auch die ÖVP wieder für mehr Verteilungsgerechtigkeit zu sensibilisieren?

Josef Christian Aigner ist em. Univ.-Prof., Psychologe und Psychoanalytiker, Innsbruck

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