Warum es ein Zitierverbot aus Gerichtsakten nicht braucht
Die Pressefreiheit ist nicht absolut, sagt die Verfassungsministerin. Auch ein Zitierverbot darf das nicht sein, sagt die Verfassung.
Vor einigen Tagen hat an dieser Stelle die Verfassungsministerin Karoline Edtstadler versucht, das von ihr geforderte Zitierverbot aus Gerichtsakten zu rechtfertigen. Ja, die Pressefreiheit gilt – wie fast jedes Menschenrecht – nicht absolut, sondern es muss im Sinne der Verhältnismäßigkeit immer eine Abwägung der beeinträchtigten Rechtsgüter vorgenommen werden. Nicht alles darf jederzeit in den Medien veröffentlicht werden. Bereits jetzt müssen Journalistinnen und Journalisten, damit sie unter bestimmten Voraussetzungen aus Ermittlungsakten zitieren können, eine strenge Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse der Gesellschaft und etwa den Persönlichkeitsrechten von Betroffenen treffen.
Dies ist, wie gesagt, nicht neu, sondern findet sich in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die in Österreich Verfassungsrang hat, samt entsprechender Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die bindend ist. Das von der Verfassungsministerin geforderte Zitierverbot zum Schutz der Betroffenenrechte braucht es daher gar nicht, und ein absolutes Zitierverbot wäre sogar verfassungswidrig. Denn es würde die Pressefreiheit unverhältnismäßig – und ohne Betrachtung des Einzelfalles – einschränken, und damit das Interesse der Öffentlichkeit, über gewisse Dinge informiert zu werden.
Auch wenn die Ministerin Unterstützung aus anderen Ländern sucht: Das von ihr vielfach erwähnte Zitierverbot in Deutschland ist mehr als umstritten und Expertinnen und Experten bewerten die deutsche Regelung als nicht menschenrechtskonform. Die Bestimmung würde wohl bei einer Anfechtung vor dem Europäischen Gerichtshof angesichts dessen neuerer Rechtsprechung nicht halten. Und auch die von der Ministerin genannte Entscheidung Bédat v. Switzerland aus dem Jahr 2016 des EGMR gilt laut Medienrechtsexpertin Windhager als nicht einschlägig, sprich in der Sache grundsätzlich nicht richtungsweisend.
Paradox ist, dass von der ÖVP das Zitierverbot unter dem Motto „Stärkung von Beschuldigtenrechten“ diskutiert wird. Laut § 54 Strafprozessordnung haben Beschuldigte das Recht, Informationen aus Akten weiterzugeben. In der Praxis ist es also oftmals so, dass Akteninhalte gerade aufgrund dieser möglichen Weitergabe in die Medien kommen – weil das die Beschuldigten eben wollen – und erst durch Journalistinnen und Journalisten die genannte Abwägung getroffen und entschieden wird, ob die Informationen im öffentlichen Interesse stehen und veröffentlich werden können oder nicht.
Offen bleibt übrigens die Frage, wieso es überhaupt eine Änderung der derzeitigen Rechtslage zum Schutz der Betroffenen braucht und ob es nicht vielmehr schlicht um den Wunsch der Ministerin geht, die Pressefreiheit einzuschränken, weil die Arbeit der Medien als „public watchdog“ politisch auch unbequem sein kann.
Teresa Exenberger ist Juristin und arbeitet bei Amnesty International Österreich.
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