Sagen, was ist: Die Pressefreiheit ist nicht absolut.

Sagen, was ist: Die Pressefreiheit ist nicht absolut.
Österreich ist ein Land, in dem wir auf die Einhaltung aller Grundrechte zu achten haben. Ein Gastkommentar von Karoline Edtstadler.
Viele haben sich zu meiner Forderung nach einem Zitierverbot im nicht öffentlichen Ermittlungsverfahren geäußert. Manche wollen die Diskussion am liebsten sofort beenden, indem sie sich auf eine rechtliche Unzulässigkeit berufen. Die EMRK und die Judikatur des EGMR ließen dies nicht zu, behaupten sie. Das ist aber falsch.
 
Eines vorweg: Die Pressefreiheit ist in einer Demokratie wesentlich und ein hohes Gut. Allerdings gilt, wie für die meisten Grundrechte: die Pressefreiheit ist nicht absolut. Die EMRK enthält neben der Pressefreiheit einen Katalog an Grundrechten, die grundsätzlich auf einer Ebene stehen. Häufig schneiden sich diese Grundrechte in der Realität. Beispiel: Das Versammlungsrecht des Einen kann in das Eigentumsrecht des Anderen eingreifen. In diesen Fällen ist eine Abwägung vorzunehmen, die zur Beschränkung eines Grundrechts führen kann.
 
Diese Abwägung hat selbstverständlich auch zu erfolgen, wenn wir ein Zitierverbot diskutieren. Welche Grundrechte sind hier betroffen? 
1. Die Pressefreiheit und das Informations-Interesse der Bevölkerung. 
2. Das Recht auf ein faires Verfahren und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung.
3. Das Recht auf Achtung des Privatlebens von Beschuldigten und Beteiligten.
 
Die Diskussion damit zu beenden, der Pressefreiheit absoluten Vorrang gegenüber den übrigen Grundrechten zu geben, ist verkürzt und eines Rechtsstaates nicht würdig. Natürlich kann ab Anklageerhebung und während öffentlicher Verhandlung die Öffentlichkeit nur mehr in Ausnahmefällen ausgeschlossen werden. Im Ermittlungsverfahren ist jedoch noch nicht klar, ob Anklage erhoben oder eingestellt wird. Es steht im Widerspruch zur Unschuldsvermutung und zur unbeeinflussten Rechtsprechung, wenn das nicht öffentliche Ermittlungsverfahren wortwörtlich in der medialen Öffentlichkeit abgehandelt wird.
 
Der EGMR hat sich mit diesen Fragen schon oft auseinandergesetzt. Ich möchte Sie auf ein Urteil (Bédat v. Switzerland) aus 2016 hinweisen. In diesem kommt der EGMR zum Schluss, dass eine Geldstrafe gegen einen Journalisten wegen Veröffentlichung aus Ermittlungsakten keine Verletzung von Art. 10 EMRK ist. Der EGMR führt außerdem einen Rechtsvergleich zu 30 Vertragsstaaten an. 23 davon haben ein generelles Zitierverbot. Nur 7 Länder, darunter Österreich, haben Regelungen, die lediglich den Verfahrensbeteiligten eine Veröffentlichung untersagen. 
 
Wer also behauptet, dass ein solcher Vorschlag einen Angriff auf die Pressefreiheit darstellen würde, ist schlecht informiert oder aber inszeniert das bewusst, um sich als vermeintlicher Retter der Pressefreiheit aufspielen zu können. Österreich ist ein Land, in dem wir auf die Einhaltung aller Grundrechte zu achten haben - unabhängig davon, wer die Betroffenen sind. Die Justiz entscheidet ohne Ansehen der Person und der Tat, daran sollten auch wir uns orientieren.
 
Karoline Edtstadler ist Juristin und Bundesministerin für Europa und Verfassung

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