Vorbeigeradelt
Martin Maxl ist Radfahrer und kommt laut seinem Kommentar vom 25. 10. öfters am Burgtheater vorbei. Im Vorbeifahren kann er den Zusammenhang zwischen den dort angebrachten Transparenten u. a. „Aufwachen, bevor es wieder finster wird“ und unserem Programm nicht erkennen. Was er hingegen zu erkennen glaubt, ist ein Widerspruch zwischen der in diesen Slogans ausgedrückten politischen „Haltung“ des Burgtheaters und einem Statement zum Nahost-Konflikt auf unserer Website, das mit den Sätzen beginnt: „Mit Besorgnis blicken wir in die Region, voll Solidarität und Trauer für alle Menschen in Israel und Gaza, die unter der Spirale der menschenverachtenden Gewalt zu leiden haben. Der schreckliche Terrorangriff auf Israel erfüllt uns mit Trauer und Bestürzung. Seine menschenverachtende Gewalt ist unerklärbar und unentschuldbar.“
Weil hier nicht nur der Opfer auf einer Seite gedacht wird, beschuldigt er das Burgtheater erst des „Bothsidesisms“ und, keinen Gedanken weiter, des „latenten Antisemitismus“. Das ist zum einen falsch, was den Text auf unserer Website angeht. Es ist aber vor allem falsch, was unser Programm angeht, und im KURIER wurde das mit einem Foto von unserer Veranstaltung am 10. 9. illustriert, auf der u. a. Michel Friedman sprach, der nicht zuletzt wegen seiner deutlichen Äußerungen im Nationalrat zum Antisemitismus in Österreich eingeladen war.
➤ Mehr lesen: Burgtheater und "Bothsideism" bei Nahostkonflikt
Wäre Herr Maxl doch in den zurückliegenden bald fünf Jahren nicht nur am Theater vorbeigeradelt, sondern auch mal mit wachen Sinnen hereingekommen, er hätte sich ein differenziertes Bild machen können und wäre sicher niemals auf einen solch bodenlosen Vorwurf verfallen. Ich empfehle für die nächsten Tage „Die Eingeborenen von Maria Blut“, „Die Ärztin“, „Die Nebenwirkungen“, „Kasimir und Karoline“, „Das flüssige Land“ und so immer weiter fort. Alles keine Stücke „zum“ Nahost-Konflikt, aber auf ihre jeweils sehr unterschiedliche Weise Ausdruck unserer Haltung gegen Extremismus, Rassismus, Gewalt und Demokratieabbau, für Menschenrechte, Freiheit und Diversität: für die Anerkennung von Unterschieden, für Ausgleich und ein friedliches Zusammenleben. Das und die Tolerierung von oder gar Zustimmung zu Terror? Geht nicht. Das und die Leugnung des Rechts auf Selbstverteidigung? Geht nicht. So weit, so klar.
Aber es gibt leider noch etwas Grundsätzliches: dass Herr Maxl es hin- und in die Zeitung hineinbekommt, dass sein „Kommentar“ dem Burgtheater und „vielen anderen Kulturinstitutionen“ pauschal „latenten Antisemitismus“ vorwirft, ohne den manifesten Antisemitismus und Rassismus in unserer Gesellschaft auch nur mit einem Wort zu erwähnen, stattdessen lieber den Kampf dagegen versucht, lächerlich zu machen („Geraune“), das ist eine gefährliche und gedankenlose Verharmlosung – und das genau. Und nicht mal latent.
Martin Kušej ist Direktor des Burgtheaters
Kommentare