Tiere als Politikum
Schon seit Jahrzehnten fordern Bürgerinnen und Bürger Europas eine bessere Gesetzgebung für die Haltung, den Transport und die Schlachtung von Tieren. Dennoch werden bis heute Kälber auf grausame Weise rund um den Globus transportiert, sogenannte Nutztiere in winzige Käfige gepfercht und Nerzen brutal ihr Fell abgezogen. Erst im September 2023 ließ die EU-Kommission den Großteil ihrer Pläne zur Verbesserung des antiquierten Tierschutz-Regelwerks fallen. Eine riesige Enttäuschung für alle, denen das Wohl der Tiere ein Anliegen ist.
Es geht natürlich ums Geld. Regelmäßig stellen Industrie, Landwirtschaft und Politik die Kosten als unüberwindbare Hürden dar, wenn es um die Einführung neuer Standards geht. Verbesserungen für Tiere werden der Wirtschaftlichkeit geopfert, die Tiere dem starren System angepasst und nicht umgekehrt. Was dabei vergessen wird: Der Preis der Untätigkeit übersteigt bei Weitem die Investitionen in den Tierschutz und betrifft nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Nachhaltigkeit und Lebensmittelsicherheit. Fast zwei Drittel der Ackerfläche der EU sind allein für die Nahrung von sogenannten Nutztieren bestimmt. Nur 20 Prozent des hier produzierten Getreides dienen der Ernährung der Menschen. Zugleich ist die landwirtschaftliche Tierhaltung für 55 Prozent der Methanemissionen in der EU verantwortlich. Die durch die Klimakrise immer häufiger auftretenden Wetterkatastrophen, Kriege und Pandemien sowie in weiterer Folge Ernteausfälle, Nahrungsmittelknappheit und Preissteigerungen zeigen uns die Verletzlichkeit einer globalisierten Landwirtschaft. Langfristig führt kein Weg an einer drastischen Reduktion der gehaltenen Nutztiere vorbei, um Flächen für den Lebensmittelanbau zum menschlichen Verzehr freizumachen.
Den Argumenten von Wirtschaft und Politik fehlt es daher an Weitsicht, zumal wirtschaftliche Belastungen abgefedert werden könnten, etwa durch Übergangsfristen für landwirtschaftliche Betriebe und angemessene Unterstützung im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik.
Nur wenige wissen, dass die Anerkennung der Empfindungsfähigkeit von Tieren in einen den beiden Gründungsverträge der Union aufgenommen wurde. Die derzeitige Situation der Tiere unter menschlicher Obhut und unser rücksichtsloser Umgang mit ihnen können nur als Verhöhnung dieses Gedankens gesehen werden. Aber auch als Verhöhnung der Bürger:innen: Sämtliche Umfragen zeigen, dass Tierschutz ein großes Anliegen ist. Die Eurobarometer-Umfrage 2023 unterstreicht das: Laut ihr sind 84 % der Europäer:innen der Meinung, dass der Schutz von sogenannten Nutztieren verbessert werden muss. Daher ist die bevorstehende EU-Wahl entscheidend. Ein engagiertes EU-Parlament und eine Neubesetzung der EU-Kommission könnten endlich der immer lauter werdenden Forderung nach Veränderung und Tierwohl gerecht werden.
Josef Pfabigan ist Vorstandsvorsitzenden von Vier Pfoten
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