Srebrenica-Resolution: Kampf um die Deutungshoheit

Srebrenica-Resolution: Kampf um die Deutungshoheit
Der Präsident Serbiens und der Völkermord in Srebrenica: eine kurze Chronologie der Verhältnisse von Jasmin Medić und Emir Kahrimanović.

Kein Staatsmann hat sich so sehr bemüht, die Verabschiedung der Srebrenica-Resolution vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen zu verhindern wie der Präsident Serbiens, Aleksandar Vučić. Vielleicht wird jemand sagen, dass das normal ist, weil die Täter des Völkermords, ebenso wie Vučić, Mitglieder desselben Volkes sind. Es besteht jedoch ein Zusammenhang zwischen ihm persönlich und dem, was im Juli 1995 im UN-Schutzgebiet Srebrenica begangen wurde.

Im Juli 1995, während in Ostbosnien die Massenhinrichtung bosniakischer Zivilisten stattfand, sandte der 25-jährige Vučić, damals Abgeordneter der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS) im serbischen Parlament, eine Botschaft an die internationale Gemeinschaft: „Wenn ihr einen Serben tötet, töten wir hundert Muslime …“

Srebrenica-Resolution: Kampf um die Deutungshoheit

Historiker Jasmin Medić

Er war einer der prominentesten Führer der SRS, die sich offen für die Schaffung eines Großserbiens einsetzten, das neben Serbien und dem Kosovo auch Montenegro, Bosnien und Herzegowina sowie Teile Kroatiens umfassen sollte. SRS unterstützte die später verurteilten Kriegsverbrecher offen, leugnete und glorifizierte sogar die Verbrechen an bosniakischen, kroatischen und albanischen Zivilisten. In der Zwischenzeit erhob das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag eine Reihe von Anklagen gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher, darunter gegen Radovan Karadžić (damals Präsident der Republika Srpska) und Ratko Mladić (Kommandeur der Armee der Republika Srpska). Die Anklagen gegen die beiden führenden Serben aus der RS beinhalten den Hauptvorwurf des Völkermords in Srebrenica und damit die Ermordung von über 8.000 bosniakischen Zivilisten im Juli 1995. Um seine Loyalität gegenüber beiden zu zeigen, klebte Vučić 2007 am Gebäude des liberalen TV-Senders B-92 Plakate mit der Aufschrift „Boulevard Ratko Mladić“. Unmittelbar danach verkündete er im serbischen Parlament: „Jedes Haus der gesamten Familie Vučić, und wir sind keine kleine Familie, wird eine offene Tür für den General haben“ und zeigte ein Plakat auf dem stand: „Das sichere Haus für Ratko Mladić“.

Wenige Tage nach der Verhaftung von Radovan Karadžić 2008 kam es in Serbien zu Gegendemos. Schon damals war Vučić Teilnehmer der Proteste, die von der Polizei gewaltsam gestoppt werden mussten. Alle, die damals nicht mitmachten, wurden als Verräter am serbischen Volk dargestellt.

Obwohl er zu einer gemäßigteren nationalistischen Partei wechselte, ist er im Grunde immer noch derselbe wie in den 1990ern und im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre. Ihm ist nur bewusst, dass es klüger ist, ein Gleichgewicht zwischen Ost und West zu finden, als ein ultranationalistisches Narrativ zu tradieren. Der heutige Vučić kann nicht noch mal mit der Ankündigung vom sicheren Haus auftreten, aber er ist agil im Kampf, die Ereignisse in Srebrenica auf eine Weise darzustellen, die nicht der Wahrheit und dem nachgewiesenen Völkermord entsprechen. Deshalb liegt es in seinem Interesse in Zusammenarbeit mit autokratischen Staaten wie Russland, Belarus, China und Syrien, die Verabschiedung der Resolution in der UN-Generalversammlung zu verhindern.

Damit erhält die ganze Diskussion eine geopolitische und international-rechtliche Dimension. Denn nun kulminiert der Kampf um die Deutungshoheit der Ereignisse in Srebrenica zu einem Kampf um einen wichtigen Präzedenzfall. Auf der einen Seite autokratische Staaten, die die „Notwendigkeiten“ kennen, die Staatsräson auch mit Morden zu wahren (Russland in Tschetschenien, Uigurenkonflikt und Assads Gaseinsatz) und auf der anderen Seite jene Staaten, die bei aller Kritik, öffentliche Debatten, Aufarbeitung und damit Konfliktlösung kennen und zulassen (im weitesten Sinne der demokratische Westen). Hier aufzugeben oder die Resolution nicht zu verabschieden, hieße, eine weitere Niederlage zu verzeichnen in einem globalen Kulturkampf zwischen wirtschaftlich zwar dynamischen, aber autokratischen Staaten und der freien Welt. Letztendlich ist die aktuelle Debatte auch ein Symptom für das politische Klima in Serbien, das immernoch seitens einer autokrativen Politkaste im Sinne ihrer nationalistischen Führung der blutigen 90er-Jahre beherrscht wird.

Jasmin Medić lehrt Neuere Geschichte an der Universität Sarajevo. Forscht und publiziert zu Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. 
Emir Kahrimanović ist Gymnasiallehrer in Kapfenberg

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