Schengen-Erweiterung als Wahlkampfschlager in Rumänien
Der rumänische Innenminister traf am Freitag seine Amtskollegen aus Bulgarien und Österreich in Budapest, wo die Weichen für den Schengen-Vollbeitritt gestellt wurden. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen am Wochenende nutzen rumänische Politiker aller Parteien die Schengen-Erweiterung als emotional aufgeladenes Symbol für Fortschritt und nationale Integration.
In Abwesenheit positiver Wahlkampfthemen wird die Schengen-Vollendung als Erfolg der rumänischen Politik inszeniert. Was auch wahr ist. Besonders in Bukarest überschlagen sich Politiker, um Bundeskanzler Karl Nehammer für gemeinsame Fotos zu gewinnen – ein Symbol für die Überwindung der einst angespannten Beziehungen. Nicolae Ciucă, Präsidentschaftsbewerber der konservativen PNL, derzeit Parlamentspräsident, nutzt für Wahlkampfzwecke die letzten Schritte der Schengen-Debatte. Er traf sich mit Nehammer in Wien, was symbolträchtig seine Verbindungen zur politischen EU-Familie unterstreichen sollte. Präsidentschaftskandidatin Elena Lasconi, USR (Verband Rettet Rumänien) veröffentlichte einen offenen Brief an Nehammer in einer österreichischen Tageszeitung. Der Bundeskanzler gilt heute fast als Wahlmagnet in Bukarest. Dabei galten Österreich und Nehammer für die Rumänen lange Zeit als Beitrittshindernis. Ende 2022 führte der Unmut über die Wiener Blockadepolitik sogar zu Boykottaufrufen gegen österreichische Banken und Tankstellen.
Premierminister Marcel Ciolacu, Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei (PSD) wird, neben seinem Innenminister Claudiu Predoiu (PNL) als Architekt der Annäherung gefeiert. Es war der prowestliche Ciolacu, der den Dialog mit Nehammer wiederbeleben konnte mit dem er unlängst auch telefonierte und nun die Fortschritte als persönlichen und parteipolitischen Erfolg verbucht. Unter seiner Regierungsführung wird heute Rumänien in der öffentlichen Wahrnehmung praktisch als zu 100 Prozent in den Schengen-Raum integriert verstanden – ein kraftvolles Narrativ für seinen Wahlkampf. Und viele Rumänen freuen sich zurecht.
Das Thema Schengen ist eine Herzensangelegenheit für viele Rumänen. Nach jahrzehntelangen Verzögerungen und Enttäuschungen schafft die Aussicht auf den vollwertigen Beitritt mit Öffnung der Landesgrenzen, vielleicht schon im Jänner 2025, nun auch Stolz. Diese Gefühle werden gezielt genutzt, um Wähler zu mobilisieren, um die Koalitionsregierung in Bukarest als kompetent und erfolgreich darzustellen. Während die Schengen-Frage in der Vergangenheit Anlass für Spannungen war, wird sie heute in Rumänien als Zeichen von EU-Anerkennung und Integration gefeiert – ein überraschend kluger Schachzug, der den Wahlkampf fürs einflussreiche Präsidialamt in Bukarest dominiert.
Alex Todericiu ist Wien-Korrespondent des TV-Senders b1 in Bukarest, österreichischer Unternehmensberater und gebürtiger Rumäne
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