Ruanda ist keine Lösung
Ruanda ist ein fernes Land, von dem sehr viele sehr wenig wissen. Das Pech für die britische Regierung: Der Oberste Gerichtshof scheint viel zu wissen und hat Pläne, illegale Migranten dorthin abzuschieben, als rechtswidrig erklärt. Menschenrechte könnten dadurch verletzt werden, so das Gericht. London behauptet, Länder wie Österreich überlegen ähnliche Modelle und gibt die Idee nicht auf.
Die konservative Regierung reagiert mit einer Gesetzesvorlage, um die Vorwürfe des Gerichtes zu umschiffen: Ruanda darf keine Migranten weiter abschieben. Auch Kriminelle müssen im Land bleiben oder nach Großbritannien zurückfliegen. Da dort Gefängnisse ohnehin voll sind, überlegt man eine Art „Rent a jail“, also Gefängnisse irgendwo im Ausland zu mieten. Hauptsache, sie befinden sich nicht mehr auf britischem Festland.
Niemand ist so richtig happy mit der Gesetzesvorlage. Dem rechten Flügel der Tories ist es zu mild, den Gemäßigten zu hart. Die Regierung in Ruanda entpuppt sich plötzlich als Verfechter der Menschenrechte und ist gegen eine strengere Version.
Das Parlament in London muss über den Gesetzesentwurf abstimmen und hinter den Kulissen wird hektisch verhandelt wie in den alten Brexit-Tagen. Viele Tories wollen eine radikale Reform der europäischen Menschenrechtskonvention. Sie argumentieren, es stamme aus einer anderen Epoche und könne leicht missbraucht werden. Bereits Theresa May hatte, als sie Innenministerin war, Bedenken gegen die Konvention geäußert.
Der aktuelle Premier Rishi Sunak, sichtlich genervt, könnte Neuwahlen ausrufen, wenn der Plan nicht vom Parlament gebilligt wird. Es ist zu erwarten, dass der Entwurf zwischen Oberhaus und Unterhaus hin und her geschoben wird.
Die Wähler sind einerseits besorgt, dass zu viele Menschen illegal über die gefährliche Ärmelkanalroute nach England kommen. Andere bezweifeln, dass der Ruanda-Plan kostengünstig ist oder ob er überhaupt je funktionieren kann. Und so lange kein Flugzeug mit Migranten Richtung Ruanda startet, wird es kaum jemand davor abschrecken, nach Großbritannien zu flüchten. Und sollte er in Kraft treten, werden illegale Einwanderer einfach untertauchen und somit eher in Kontakt mit der Unterwelt kommen.
Neuwahlen könnten die Rückkehr von „Mr. Brexit“ Nigel Farage auf die politische Bühne bedeuten, mit dem Migrationsthema als sein liebstes Steckenpferd. Boris Johnson könnte ein Comeback als Abgeordneter versuchen. Beide sind rhetorische Meister im Gegensatz zu „Spreadsheet Sunak“, der nicht unbedingt volksnah spricht. Nicht nur in Großbritannien, sondern auch in anderen europäischen Ländern wird das Migrationsthema 2024 die Wahlen dominieren. Alle diese Länder aber stünden vor derselben Menschenrechtsproblematik und haben mit Populisten zu tun.
Melanie Sully ist eine britische Politologin und lebt in Österreich
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