Persönlichkeitsrechte sind ungenügend geschützt

Befürworter eines "Zitierverbots" aus laufenden Ermittlungen stützen sich gern auf die Rechtslage in Deutschland
Österreich schneidet bei Beschuldigtenrechten im Europa-Vergleich nicht gut ab. Ein „Zitierverbot“ könnte eine Abwägung zwischen der Pressefreiheit und anderen Grundrechten ermöglichen. Ein Gastkommentar von Wolfgang Brandstetter und Peter Zöchbauer.

Der VfGH hat kürzlich jene Regelungen der StPO, die die Sicherstellung von Mobiltelefonen durch weisungsgebundene Staatsanwälte ohne vorangehenden Beschluss eines unabhängigen Richters ermöglichen, als verfassungswidrig aufgehoben. Dies war zu erwarten. Der VfGH hat ja auch schon im Jahr 2014 die „Vorratsdatenspeicherung“ – vorwiegend gestützt auf die Verfassungsbestimmung im Datenschutzgesetz – als verfassungswidrig aufgehoben, obwohl es dabei nur um das Abspeichern von Verbindungsdaten und nicht um den viel intensiveren Grundrechtseingriff des Zugriffs auf Inhalte ging. Es wäre aber verfehlt, zu glauben, dass damit wieder alles in Ordnung ist. Die große StPO-Reform 2008 lief darauf hinaus, dass die Staatsanwaltschaften erheblich mehr Macht bekamen.

Die unabhängigen Untersuchungsrichter wurden als Ermittlungsorgane abgeschafft, um die Verfahren zu beschleunigen. Das dadurch entstehende Defizit beim Grundrechtsschutz wollte man dadurch ausgleichen, dass man dem Beschuldigten gegen jede staatsanwaltschaftliche Entscheidung die Möglichkeit einer Beschwerde an den unabhängigen „Haft- und Rechtsschutzrichter“ einräumte. Empirisch betrachtet wurden beide Ziele – die Verfahrensbeschleunigung und ein effektiver Grundrechtsschutz durch die neu geschaffenen „Haft- und Rechtsschutzrichter“ – weitgehend verfehlt. Die Einführung dieser neuen richterlichen Einrichtung zum Grundrechtsschutz erfolgte nur schleppend und in zu geringer Zahl, die vorwiegend jungen Amtsinhaber waren oft überlastet, was auch durch die Explosion des digital sichergestellten Datenmaterials in den letzten Jahren bedingt war.

Interview mit Wolfgang Brandstetter

Wolfgang Brandstetter

Nur Stempel drauf

Bald entwickelte sich auch das von Anwälten kritisierte Phänomen der „Stampiglienjudikatur“, die darin besteht, dass der Haft- und Rechtsschutzrichter den ihm von der Staatsanwaltschaft „unpräjudiziell“ übermittelten Beschlussentwurf ohne ersichtliche inhaltliche Auseinandersetzung bewilligt. Wie man aus dem Fall der BVT-Razzia, die vom OLG Wien als rechtswidrig qualifiziert wurde, lernen konnte, reicht zur Not auch das telefonische Einverständnis des Richters. Eine effektive Grundrechtskontrolle sieht anders aus.

Die Europäische Menschenrechtskonvention (Art 8) und die Europäische Grundrechtecharta (Art 7 und 8) schützen die Persönlichkeitsrechte im Kommunikationsbereich. Sie stehen im Verfassungsrang und gehen den innerstaatlichen österreichischen Regelungen vor, so wie auch die zu ihrer Garantie tätigen Gerichtshöfe in Straßburg und Luxemburg über allen österreichischen Gerichten stehen. Da könnte es in Einzelfällen noch so manche Überraschung geben, die klar macht, dass die Persönlichkeitsrechte in Österreich auch im europäischen Vergleich nach wie vor unzureichend geschützt sind. Die Vorstöße für eine Stärkung der Beschuldigtenrechte in diesem Kontext sind berechtigt und nachvollziehbar.

Persönlichkeitsrechte sind ungenügend geschützt

Peter Zöchbauer

Das Medienrecht in seiner derzeitigen Ausformung ist kaum geeignet, die mit einer Verdachtsberichterstattung regelmäßig einhergehende Beeinträchtigung von Persönlichkeitsrechten hintanzuhalten. Aus der Perspektive des Ehrenschutzes ist ein Bericht über den Verdacht einer Straftat zulässig, so dieser nur korrekt dargestellt wird. Doch schon das Äußern eines Straftatverdachts belastet den Ruf des Betroffenen.

Der 1993 zusätzlich geschaffene Identitätsschutz unter anderem für Verdächtige ist auf besondere Fälle beschränkt, und er greift zudem nicht, wenn ein überwiegendes Informationsinteresse an der Identität des Betroffenen besteht. Das wird in aufsehenerregenden Fällen durchaus oft bejaht, auch wenn dann die im Bericht in identifizierender Form preisgegebenen Details nicht selten ohne jegliche (straf)rechtliche Relevanz sind. Medien profitieren aber auch vom mangelnden Schutz der Persönlichkeitsrechte:

Allfällige „Leaks“ aus Strafakten können zwar unter Umständen strafbar sein. De facto aber sind sie so gut wie nie beweisbar, das Redaktionsgeheimnis schützt die Quellen von Medien. So werden immer wieder Aktenteile zu Medienberichten, ohne dass sich der Betroffene gegen den „Informationsgeber“ wehren kann.

Es braucht daher nicht nur eine Stärkung der Beschuldigtenrechte, sondern auch eine Reform des Medienrechts im Bereich der Verdachtsberichterstattung. Als Lösungsansatz bietet sich unter anderem das vielfach diskutierte Verbot des wörtlichen Zitats von Inhalten aus Ermittlungsakten an („Zitierverbot“). Eine solche Regelung gibt es bekanntlich in Deutschland, und sie hat sich dort im Wesentlichen bewährt, wie der deutsche Strafrechtsexperte Gerhard Dannecker im Vorjahr in einem KURIER-Interview bestätigt hat. Eine allzu detaillierte Berichterstattung über einen Tatverdacht, beispielsweise das wörtliche Wiedergeben von Inhalten vertraulicher Individualkommunikation, die sich im Ermittlungsakt findet, beeinträchtigt eben die Persönlichkeitsrechte. Auch deshalb verbietet das Mediengesetz Fernseh- oder Hörfunkaufnahmen und Übertragungen aus dem Gerichtssaal. Die durch eine unbegrenzte Öffentlichkeit ausgelösten Effekte sind für den Beschuldigten zumeist auch sozial sehr belastend.

Effizienterer Schutz

Grundrechte wie die Pressefreiheit wirken aber bekanntlich nicht absolut, sondern sind im Fall einer Grundrechtekollision mit anderen Grundrechten, wie etwa dem Privat- und Familienleben, das auch die Individualkommunikation schützt, abzuwägen. Ein „Zitierverbot“, das eine solche Abwägung ermöglicht, wäre ein wertvoller und verfassungskonformer Beitrag zu einem effizienteren Persönlichkeitsschutz.

Eines muss der “public watchdog“ als starke Macht im Staat bedenken: Die ganz überwiegende Mehrzahl der Strafverfahren in Österreich endet mit Einstellung des Ermittlungsverfahrens oder Freispruch im Hauptverfahren. Die Verdachtsberichterstattung betrifft daher in vielen Fällen eine unschuldige Person.

Wolfgang Brandstetter, ehem. Justizminister auf ÖVP-Ticket, ist Universitätsprofessor und Strafverteidiger.

Peter Zöchbauer ist Rechtsanwalt und Lehrbeauftragter für Medienrecht.

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