Orbáns Vision einer rückwärtsgewandten EU

Orbáns Vision einer rückwärtsgewandten EU
Zurück in den Kokon ist der falsche Weg. Eine Replik von Claudia Gamon.

Viktor Orbán ist kein EU-Kritiker. Seine Forderung nach der Abschaffung der EU-Wahl demaskiert ihn als zynischen EU-Zerstörer. Er, der immer behauptet, die EU würde die Interessen der ungarischen Bürgerinnen und Bürger nicht repräsentieren, will ihnen die einzige Möglichkeit wegnehmen, selber Einfluss auszuüben. Fans seiner Idee missachten, ob bewusst oder nicht, was das Europaparlament und dessen Direktwahl wirklich für die EU bedeutet: Es ist der Herzschlag, der die Union am Leben hält. Nicht zufrieden mit der Richtung, in die die EU steuert? Ihr Wahlrecht ist Ihr Instrument des Protests!

Als aktuell einziges greifbares Instrument der Partizipation ist es grundlegend für die Akzeptanz und Legitimität der Union. In Zeiten zunehmender Entfremdung von den politischen Prozessen ist es von unschätzbarem Wert. Die Direktwahl schützt, pathetisch gesagt, vor dem Zerfall der EU, sie verbindet über 450 Millionen EU-Bürgerinnen und EU-Bürger in der größten, grenzüberschreitenden, demokratischen Einrichtung.

Orbáns Vision einer rückwärtsgewandten EU

Claudia Gamon

In seinem KURIER-Gastkommentar (14. 2.) kritisiert Stefan Brocza, das EU-Parlament sei ursprünglich nur ein beratendes Gremium gewesen. Darauf erwidere ich: Ursprünglich war die EU eine reine Kohle- und Stahlunion. Ursprünglich hatten wir Binnenzölle und Mauern in Europa. Und ursprünglich ist ein Schmetterling eine Raupe. Nur weil Dinge in ihrer ursprünglichen Form anders ausgesehen haben, heißt das nicht, dass sie besser waren. Es stimmt, die EU steht vor großen Herausforderungen. Selbstzufriedenheit wäre fehl am Platz. Aber es ist ein Trugschluss zu glauben, dass eine Rückkehr zu alten Praktiken von 1979 die Antwort auf die Herausforderungen von heute ist. Wie der Schmetterling, der sich nicht zur Raupe zurückentwickeln kann, muss sich die EU weiterentwickeln. Nur eine EU, die nach vorne strebt, ist eine EU, die lebt. Im Umkehrschluss: Eine stagnierende EU ist eine tote EU.

Die Neos wollen weg von falscher Nostalgie und hin zu mehr Demokratie. Anstatt das Europäische Parlament zum innenpolitischen Spielball zu degradieren, wollen wir woanders ansetzen: Der Rat ist durch ständige Veto-Manöver – wie von Viktor Orbán bei den Ukraine-Hilfen – zum Bremsklotz verkommen und sollte langfristig abgeschafft werden. Stattdessen schlagen wir vor, ihn durch eine zweite Kammer im EU-Parlament zu ersetzen. Diese könnte dann von den Mitgliedstaaten – nach Orbáns Vorschlag – national besetzt werden. So stärken wir die Bindung zwischen EU und Mitgliedstaaten.

Bis dahin bleibt die Direktwahl das Bollwerk der europäischen Demokratie; ein letzter Beweis dafür, dass die Stimmen der Bürgerinnen und Bürger zählen. Die von Herrn Brocza angeprangerten Politikerinnen und Politiker „brüllen“ also, weil sie eben dieses Bollwerk verteidigen wollen.

Claudia Gamon ist EU-Abgeordnete der Neos

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