Österreich und sein "Patt-Paradoxon"

Lässt sich die – voraussichtlich langwierige – Regierungsbildung mit Schach vergleichen?
Während die Parteien aktiv Zeit verstreichen lassen, um die kommenden Landtagswahlen abzuwickeln, verkündet der Bundespräsident ein janusköpfiges Patt. Ein Gastkommentar von Paul Sailer-Wlasits.

"Patt" ist ein Terminus aus dem Schachspiel, kein politischer Begriff. Es bezeichnet jene Situation, in der der König keinen nach den Spielregeln erlaubten Zug mehr machen kann und gleichzeitig nicht bedroht wird, d.h. nicht "im Schach" steht. Das Patt wird im Schachspiel als unentschiedener Spielausgang gewertet.

Der in einer Partie unterlegene Spieler kann sich durch geschicktes Herbeiführen eines Patts in ein Remis hineinretten. Mit dem Rücken zur Wand ein Unentschieden herauszuholen mag als Sieg empfunden werden. Ein überlegener Spieler, der kein Schach-Matt erreicht, sondern in den Gleichstand der Bewegungslosigkeit hineingezwungen wird, hat durch ein Patt seinen gesamten Vorteil verspielt.

Österreich und sein "Patt-Paradoxon"

Paul Sailer-Wlasits

Das globale politische Patt war einst jenes zwischen den USA und der Sowjetunion, zur Zeit des Kalten Krieges. Beide Seiten hatten atomar dermaßen hochgerüstet, dass die Welt hunderte Male hätte vernichtet werden können. Die ausgereiften Frühwarnsysteme hätten sie einen Angriff frühzeitig erkennen und einen atomaren Gegenschlag ausführen lassen. Das nukleare Patt führte zum sog. "Gleichgewicht des Schreckens", das erst durch Abrüstungsverhandlungen und politische Ost-West-Entspannung, vorübergehend gelöst wurde.

Schrecken ohne Gleichgewicht

In Österreich, jener "kleine[n] Welt, in der die große ihre Probe hält", wie der Dramatiker Friedrich Hebbel einst bemerkte, sieht die Qual nach der Wahl etwas anders aus: Kein Gleichgewicht des Schreckens, eher ein Schrecken ohne Gleichgewicht.

Die durch Wählerwillen hierzulande herbeigeführte Situation ist kein Patt, sondern, metaphorisch gewendet, ein "Patt-Paradoxon", eine logische Ausweglosigkeit. Ähnlich dem aus der antiken Philosophie bekannten "Lügner-Paradoxon", das mitschwingt. Seine Wiedergabe wird Eubulídes von Milet, einem Philosophen des vierten vorchristlichen Jahrhunderts zugeschrieben: "Epimenídes der Kreter sagt: 'Alle Kreter sind Lügner'."

Eine logische Unlösbarkeit: Falls der Satz wahr ist, dass alle Kreter Lügner sind, hat Epimenídes, der Kreter ist, sich selbst zum Lügner erklärt. Dadurch wäre das Gegenteil seiner Aussage wahr: alle Kreter sagten also stets die Wahrheit. Wenn aber alle Kreter stets die Wahrheit sagen, dann müsste auch der Satz des Kreters Epimenídes wahr sein, dass nämlich alle Kreter Lügner sind. Eine gedankliche Ausweglosigkeit, die erst im 20. Jahrhundert durch die sog. mehrwertige Logik gelöst wurde.

Wie immer die – voraussichtlich langwierige, langdauernde – österreichische Lösung des politischen "Patt-Paradoxons" aussehen wird, die sichtbar gute Laune vor der Tapetentür in der Wiener Hofburg dürfte der kommenden Regierung – egal von wem gebildet – bald vergehen. Des hohen Budgetdefizits wegen wird diese kaum wirtschaftlichen Handlungsspielraum haben und das kommende Sparpaket könnte jedes kleine Konjunkturpflänzchen ersticken. Eine reale Patt-Situation, spätestens ab 2025. Daher sollte Österreich mit Engagement und Energie in eine Erfolgsspur zurückgeführt werden, denn Politik ist nur zum Teil Schachspiel.

Paul Sailer-Wlasits ist Sprachphilosoph und Politikwissenschafter in Wien.

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