Nehammers Büchse der Pandora
Die Entscheidung der ÖVP, nach Leonore Gewesslers Alleingang bei der Abstimmung über die EU-Renaturierungsverordnung die Umweltministerin wegen Amtsmissbrauchs bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen, mag einer persönlichen Enttäuschung und Kränkung entspringen, politisch klug und durchdacht ist sie aber jedenfalls nicht.
Es stimmt, dass bei ressortübergreifenden EU-Themen die zuständige Ministerin Einvernehmen mit ihren Regierungskollegen herzustellen hat, bevor sie im EU-Ministerrat einem Vorschlag zustimmt. Dieser Verpflichtung gemäß § 5 Bundesministeriengesetz (BMG) ist Gewessler nicht nachgekommen. Daraus jedoch abzuleiten, dass sie zur Stimmabgabe auf EU-Ebene nicht berechtigt sei und dies auch noch in einem überhastet verfassten Brief an die EU-Ratspräsidentschaft Belgien der europapolitischen Öffentlichkeit mitzuteilen, war ein Fehler. Warum dieser Brief dann auch noch in einem wahrlich verbesserungsfähigen Englisch verfasst wurde, fragt sich so mancher Beobachter. Man war an den legendären Brief des Ex-FPÖ-Vizekanzlers Hubert Gorbach erinnert: „The world in Vorarlberg is too small“.
Auf EU-Ebene ist jedenfalls klar: Ist ein Minister bei einer Sitzung anwesend, dann vertritt er sein Land und stimmt auch in dessen Namen ab. Europarechtlich ist Gewesslers Stimmabgabe daher gültig und kann auch nicht rückwirkend angefochten werden. Das ändert auch kein Brief eines Regierungschefs.
Wenn sich ein Bundeskanzler von einer Ministerin so enttäuscht fühlt, dann wäre es das Natürlichste der Welt, dem Bundespräsidenten ihre Entlassung vorzuschlagen. Sie im Amt zu belassen, gab Gewessler erst die Möglichkeit, so abzustimmen. Innerstaatlich könnte man eine Ministeranklage wegen Verletzung des BMG ins Auge fassen. Dafür nötig wäre eine Mehrheit im Nationalrat. Oder die Bundesländer erheben ebenfalls eine solche Ministeranklage beim VfGH wegen Verletzung ihrer Stellungnahme, wonach der Bund der Renaturierungsverordnung nicht zustimmen soll. All das scheint jedoch nicht stattzufinden.
Dass der Bundeskanzler keine Möglichkeit hat, andere Mitglieder der Regierung zu etwas zu verpflichten, sollte Nehammer hinlänglich bekannt sein. Anders als etwa in Deutschland gibt es bei uns keine Richtlinienkompetenz des Kanzlers. Mit dem Versuch, trotzdem eine solche faktische Verpflichtung zur Befolgung seiner politischen Wünsche auf EU-Ebene herbeizufantasieren, öffnet er jedenfalls eine Büchse der Pandora. Denn alles was Nehammer und die ÖVP von Gewessler einfordern, ist natürlich ein Präjudiz für künftige Regierungen. Was für einen VP-Kanzler heute gilt, müsste dann auch für einen FP-Kanzler morgen gelten. Und ob ein künftiger Vizekanzler Nehammer oder eine Ministerin Edtstadler wirklich auf EU-Ebene nach der blauen Pfeife Herbert Kickls tanzen wollen, ist dann doch wieder mehr als fraglich.
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.
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