Münchner Abkommen 1938: Mahnendes Beispiel für die Gegenwart

Der britische Premier Neville Chamberlain vor der Unterzeichnung bei Adolf Hitler auf dem Obersalzberg
Das Münchner Abkommen sicherte nur scheinbar den Frieden. Ein Gastkommentar von Janos I. Szirtes.

Die Lösung der sudetendeutschen Frage sollte den Frieden bringen. Um den Preis des Anschlusses des Sudetenlandes an das Deutsche Reich meinte man, den dauerhaften Frieden sichern zu können. Es war Ende September 1938, als durch Vermittlung Italiens in München ein Abkommen geschlossen wurde, von dem Frankreich und Großbritannien glaubten, Hitler befriedet zu haben. O nás, bez nás (über uns, ohne uns) sagten dazu die Tschechoslowaken, die auf sich allein gestellt dem Deutschen Reich keine Stirn bieten konnten. Ihr Außenminister Kamil Krofta sagte, „wir sind nicht die Letzten, nach uns werden andere betroffen sein“, aber man hörte nicht auf ihn. Neville Chamberlain, der britische Premier, verkündete, aus München kommend: „Ich bringe den Frieden“.

Münchner Abkommen 1938: Mahnendes Beispiel für die Gegenwart

Janos I. Szirtes

Weit gefehlt. Berlin nahm das Sudetenland in Besitz, sechs Monate später marschierte die Wehrmacht in Prag ein. Böhmen und Mähren wurden deutsches Protektorat. Die Slowakei trat aus Hitlers Gnaden aus der CSR aus und wurde eigenständiger, faschistischer Vasall Deutschlands. Elf Monate nach München überfiel Hitler Polen, womit der Zweite Weltkrieg seinen Anfang nahm. Frankreich, als Anhänger dieser Appeasement-Politik, ereilte dasselbe Schicksal und musste am 22. Juni 1940 eine schmachvolle Kapitulation unterschreiben. Großbritannien wurde ab dem 10. Juli 1940 mit deutschen Bomben übersät. Alsbald stöhnte ein Großteil Europas unter NS-Herrschaft. Diese Entwicklung wurde durch das Nachgeben, also auch durch das Münchner Abkommen ermöglicht.

Die Situation von 1938 zeigt sehr viele Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit von heute. Es ging damals wie heute um Eroberungen von Gebieten, um die Begründung von Großmachtstellungen, um nationale Minderheiten, um Herrschen über andere, um Aktionen unter fremder Flagge, Vasallenstaaten, Cordon Sanitaire, um Fake News, Drohungen und wenn das alles nicht wirken sollte, Krieg.

Die Vertreter der heutigen Beschwichtigungspolitik heißen Friedensanhänger, die nun die Ukraine opfern wollen, um Frieden zu erreichen, wie sie glauben. Der Frieden des Münchner Abkommens zeigt aber, wozu diese Politik führt. Das Münchner Abkommen begründete den Weg zur bisher größten Katastrophe der Menschheit. Es zeigte Hitler, dass er seine Pläne verwirklichen kann, weil die anderen zu schwach sind, um sich ihm entgegenzustellen, und aus Furcht, eine halbherzige Politik betreiben.

Die Tragik der politischen Wirklichkeit ist, dass die Realpolitik einer Diktatur keine entsprechenden Schritte entgegensetzt, aus Befürchtung, selbst betroffen zu sein, womit der Aggressor ermuntert wird, weiterzumachen. Die heutige Politik ist nicht bereit, aus der Vergangenheit zu lernen. So kann es zu einem neuen Münchner Abkommen kommen und auch – trotz besseren Wissens – zu seinen Folgen.

 

Janos I. Szirtes ist Politikwissenschafter, lebt in Budapest, war Journalist und Diplomat

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