Österreichs Kommunisten: Streit ums Geschichtsbild
Im September 2021 wurde die KPÖ bei den Grazer Gemeinderatswahlen zur stärksten Partei, im April gelang ihr der Wiedereinzug in den Salzburger Landtag. Nach den Wahltagen rückte rasch auch die Geschichte der Partei ins mediale Rampenlicht. Nicht selten wurde der KPÖ dabei eine Negativbilanz der gesamten kommunistischen Bewegung vorgerechnet.
Auffällig ist, dass weniger die Wählerinnen und Wähler, sondern vor allem Kommentatorinnen und Kommentatoren die Partei mit ihrem historischen Erbe konfrontieren. Nun ist es tatsächlich so, dass keine andere politische Kraft ein ähnlich enges Verhältnis zur eigenen Geschichte besitzt wie die organisierte ArbeiterInnenbewegung. Bis heute wird das Selbstverständnis der KPÖ entscheidend von ihrer opferreichen Rolle im antifaschistischen Widerstand und ihrem Anteil am demokratischen Wiederaufbau nach 1945 geprägt.
Das Kommunismusbild in Österreich wurde jedoch weniger aus diesen geschichtlichen Leistungen denn aus der Identifikation der KPÖ mit der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern geformt. Jahrzehntelang stand die KPÖ Fehlentwicklungen und Verbrechen in den Staaten des realen Sozialismus weitgehend kritiklos gegenüber. Ihre mehr absolute denn kritische Solidarität mit der Sowjetunion wurde zum Hauptfaktor ihrer Selbstisolierung, die mit der aktiven Ausgrenzung der Partei in den Jahren des Kalten Krieges einherging.
Kritikerinnen und Kritiker werfen der KPÖ vor, sich unzureichend mit ihrer Geschichte auseinandergesetzt zu haben. Dies stellt sich bei näherer Betrachtung jedoch als Klischeebild heraus: Die KPÖ leitete nach 1990 eine Neuorientierung ein, in der ein kritischer Blick auf die eigene Geschichte geradezu in den Mittelpunkt rückte. In geschichtswissenschaftlichen Analysen, die in den letzten 30 Jahren im Umfeld der KPÖ veröffentlicht wurden, wurde keine Problemzone ausgespart. In KPÖ-nahen Periodika erschienen mehr Beiträge über die Geschichte der Partei als in allen österreichischen Zeitschriften über die anderen Parteien zusammen. Eine breitere öffentliche Auseinandersetzung über diese Forschungen steht noch aus.
Ohne Übertreibung kann heute eingeschätzt werden, dass keine Partei in Österreich über ein derart kritisches Verhältnis zu ihrer eigenen Geschichte verfügt wie die KPÖ. Nahezu 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler in Graz und mehr als 20 Prozent in Salzburg-Stadt haben unter Beweis gestellt, dass der Begriff „kommunistisch“ im Parteinamen seinen Schrecken verloren hat. Die KPÖ wird heute vor allem anhand ihrer konkreten Politik und der Glaubwürdigkeit ihrer Kandidatinnen und Kandidaten beurteilt, während Klischeevorstellungen und Vorurteilsstrukturen aus der Zeit des Kalten Krieges ihre Wirkungsmacht weitgehend eingebüßt haben.
Manfred Mugrauer ist Historiker und Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW)
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