Jörg Mauthe: Ein Role-Model für späte Quereinsteiger

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Publizist Jörg Mauthe wurde vor 100 Jahren geboren. Ein Gastkommentar von Rudolf Bretschneider.

Er war vieles und das jeweils mit der ihm eigenen Begeisterung: kämpferischer Kunsthistoriker, facettenreicher Journalist (u.a. im KURIER) und Buchautor („Die große Hitze“), Lokalpatriot und Europäer, Mit-Retter der Hainburger Au, Hausbegrüner und Wienerlied-Förderer. Gelegentlich sagte er über sich, er sei der Erfinder des „Multilife“.

In der Politik war er ein Spätberufener; gerufen hat ihn Erhard Busek, damals Wiener ÖVP-Vizebürgermeister. Im Kreis um die beiden entstand die Idee und Praxis der „bunten Vögel“, der „Kampf gegen die Magistratssaurier“ – heitere Symbolik in einer durchaus ernsten Auseinandersetzung mit dem roten Rathaus.

Jörg Mauthe kann auch 38 Jahre nach seinem Tod als Role-Model für späte Quereinsteiger dienen. Er brachte dafür das wichtige Gut Erfahrung mit, das er in verschiedenen Lebenswelten gesammelt hatte. Er war sozial neugierig und ein teil- und anteilnehmender Beobachter. Für seine Anliegen suchte er nicht nur Unterstützung bei Gleichgesinnten, sondern auch bei politischen Kontrahenten. Und er hatte keine Scheu, auch große politische Visionen zu formulieren: etwa, wenn er von einer „Explosion der kreativen Kräfte Wiens“ um die kommende Jahrtausendwende sprach und die Rolle seiner geliebten Stadt in einem neuen europäischen Umfeld zu ahnen glaubte.

PK PARALLELGESELSCHAFTEN: BRETSCHNEIDER

Rudolf Bretschneider

Eben diese „idée fixe“ eines neuerblühten Wien war für ihn ein Ausgangspunkt großer und scheinbar kleiner Pläne. Oft beklagte er die mangelnde Wertschätzung der Schönheiten und Kräfte seiner „Vielgeliebten“, die Vernachlässigung von Häuserensembles, die Verschandelung des Straßenbilds durch geschmacklose Geschäftsportale oder Werbung. Sein Entzücken waren dagegen die mit Liebe gestalteten Gärten und Blumenbeete der damaligen Wiener Stadtgärten.

Brunnen, Laternen, Bänke, Wegweiser fanden seine konzentrierte Aufmerksamkeit ebenso wie Häuser oder Hinterhöfe, die ungeahnte Möglichkeiten der Neugestaltung boten (Entkernung, Begrünung). Zusammen mit Architekten entwickelte er eine Art Grätzl-Politik, die wichtige Funktionen des städtischen Lebens im Nahbereich der Wohnung bewahren bzw. erneuern sollten.

Leben, Kultur, Literatur und Politik flossen mehr und mehr ineinander. Er sprach aus, was ihm als Aufgabe der Politik wesentlich schien, auch wenn das höchst ungewöhnlich und politikfern wirkte. Gerade deshalb sollte sein „Schönheitsmanifest“, das er zusammen mit Günther Nenning verfasste, im Wiener Gemeinderat laut vorgelesen werden. Gelegenheiten dazu gäbe es oft.

Phantasielosigkeit galt ihm als schwerer politischer Fehler. Starre politische Lager fand er idiotisch. Kulturlosigkeit, in welchem Gewand auch immer, fand er schauerlich. Er liebte Mythen – nicht nur österreichische. Vielen war er ein rätselhafter Mensch. Ein wenig wohl auch sich selber. Sein letztes Buch, das er im Bewusstsein des nahen Todes schrieb, endet mit den Worten: „Und Mauthe, wer immer das war, begibt sich ans Sterben.“ ...

Rudolf Bretschneider ist Sozialwissenschaftler, Marktforscher und Publizist

Jörg Mauthe (11. Mai 1924 - 29. Jänner 1986 ) war ein österreichischer Journalist, Schriftsteller und Wiener Stadtpolitiker. Er war ab 1978 für die ÖVP Wiener (nicht amtsführender) Stadtrat

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