Größenwahn im Silicon Valley

Größenwahn im Silicon Valley
Es herrscht der Glaube, nur Technologie könne die Welt retten. Ein Gastkommentar von Christiane Varga.

Das Silicon Valley ist bekannt für seine technoiden, größenwahnsinnigen Zukunftsvisionen: Transhumanismus, Kryonik, Cyborgs – alles Themen, die sich schon aus der Ferne, jedoch spätestens bei näherer Betrachtung als menschenunfreundliche Selbstvergottungs-Fantasien entpuppen. Die Sozialwissenschaftler Richard Barbrook und Andy Cameron haben dieses Phänomen bereits in den 1990er-Jahren kritisch als die „Kalifornische Ideologie“ bezeichnet, bei der es im Kern darum geht, fest an den emanzipatorischen Charakter der Informationsgesellschaft zu glauben sowie an das beständige „Höher, schneller, weiter“ neuer Technologien.

Der aktuellste US-Westküsten-Trend hat den klingenden Namen „effective accelerationism“ – ins Deutsche nur unzureichend als „effektiver Akzelerationismus“ übersetzbar. Marc Andreessen, ein Top-Investor der Tech-Szene, ist glühender Befürworter dieses Beschleunigungsglaubens. Es geht darum, die Kräfte der Innovation und des Kapitalismus bis zum Äußersten zu nutzen, um einen radikalen sozialen Wandel herbeizuführen – selbst wenn dies bedeutet, die heutige Gesellschaftsordnung völlig umzuwerfen.

In einer e/acc-Welt, so die Abkürzung für Insider, sollte keine Idee, die einen hypothetischen Wert hat, als zu absurd, zu gefährlich oder zu abwegig angesehen werden, um sie in die Realität umzusetzen. Schnell, dynamisch, kompromisslos.

"Gute Nachricht"

„Ich bin hier, um die gute Nachricht zu überbringen“, schreibt Andreessen in seinem Techno-Optimisten-Manifest. Unsere Gesellschaft basiere auf Technologie, und nur Technologie könne sie retten. Der Glaube an eine „Marktdisziplin“ beinhaltet die Ablehnung von Regularien aller Art, da sich die Marktwirtschaft als „eine Form der Intelligenz“ mit ihren „explorativen, evolutionären, adaptiven“ Tendenzen so entwickeln wird, dass sie, quasi automatisch, „Menschen aus der Armut befreit“. Für Kritiker fördert e/acc gerade die Armut der Armen und das reicher Werden der Reichen durch die Beschleunigung des Kapitalismus und des technologischen Fortschritts ohne entsprechende soziale oder politische Kontrollmechanismen.

Dieser „Techno-Optimismus“ erfährt einen wahren Boost, seit OpenAI den Chatbot ChatGPT auf den Markt gebracht hat. Das Versprechen, KI könne noch mehr Produktivität und allgemeinen Wohlstand generieren, bekommt neuen, scheinbar grenzenlosen Aufwind.

Es ist deshalb an der Zeit, sich noch stärker mit dem Tech-Mindset des Silicon Valley auseinanderzusetzen und sich zu überlegen, welches Menschen- und Weltbild wir im Zweifel entgegensetzen können. Unbestritten kann Technologie großartige Dinge vollbringen. Doch geht es heute und in Zukunft nicht mehr um die Frage, was technologisch möglich, sondern was technologisch sinnvoll ist. Haben wir Antworten darauf?

Christiane Varga ist Soziologin, Trend- und Zukunftsforscherin und Lehrbeauftragte an der FH Joanneum.

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