Gewaltfreiheit der Mehrheit der Muslime ist „noch ein Glück“?
In öffentlichen Reaktionen auf islamisch motivierte Terroranschläge wird oft betont, die Mehrheit der Muslime sei friedlich und lehne Gewalt und Fanatismus ab. Zum einen bedeutet friedlich zu sein nicht unbedingt auch die Ablehnung von Gewalt und Fanatismus, zum anderen ist die Tatsache, dass die Mehrheit der Muslime nicht zu Gewalt greift, eine Binsenweisheit. Sie erinnert an das legendäre „Noch ein Glück!“ der von Friedrich Torberg geschaffenen Figur der Tante Jolesch.
Niemand käme auf die triviale Idee, nach links- oder rechtsextremen Gewalttaten zu betonen, die Mehrheit der Bevölkerung sei friedlich. Diese Beteuerung mag der berechtigten Angst vor Pauschalisierungsvorwürfen geschuldet sein, sie wirkt inzwischen jedoch wie ein Zeichen von großer Hilflosigkeit und Ohnmacht im Angesicht gescheiterter Integration eines nicht unerheblichen Teils der muslimischen Bevölkerung und der immer offensichtlicheren Probleme.
Gewaltfreiheit ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für das friedliche Zusammenleben in einer Gesellschaft. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass eine beträchtliche Anzahl von Muslimen die Werte westlicher, pluralistischer Demokratien ablehnt und Gewalt zur „Verteidigung des Islams“ für legitim erachtet. Abwertung von Juden, Homosexuellen und Frauen etwa ist unter Muslimen signifikant stärker verbreitet als im Rest der Bevölkerung, andere Einwanderungsgruppen eingeschlossen, und sie ist umso stärker, je religiöser sich die Befragten einschätzen. Und genau hier liegt das Problem.
Schweigen zu Terror
Auffällig ist zudem, dass die Ablehnung von Gewalt und Fanatismus im Namen des Islam von der „Mehrheit der Muslime“ so gut wie nie öffentlich zum Ausdruck gebracht wird. Der Versuch einer Handvoll islamischer Vereine, 2017 Muslime zu einer bundesweiten Demonstration gegen Gewalt und Terror in Köln zu mobilisieren, verlief enttäuschend. Nur wenige Hundert Muslime folgten dem Aufruf. Die großen Islamverbände, die sich gern als Repräsentanten aller Muslime gerieren, mobilisieren nur dann, wenn sie der Meinung sind, der Islam und die „religiösen Gefühle“ der Muslime seien beleidigt worden.
Als „Beleidigung des Islam“ gilt dabei nicht etwa die Selbstbezeichnung von Terrorgruppen als „Jaish-e-Mohammad“ (Armee Mohammeds) oder „Hisbollah“ (Partei Gottes), wohl aber der Abdruck von Mohammed-Karikaturen in einer dänischen Zeitung.
Ihre Mobilisierungskraft zeigen islamische Organisationen auch, wenn es gegen Israel geht. Sie begrüßen es, wenn die Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus auf die Straße geht, es ist aber weder ihnen noch der friedlichen Mehrheit der Muslime ein Anliegen, Kundgebungen gegen den islamischen Extremismus auf die Beine zu stellen oder gegen Moscheen und Prediger zu protestieren, die extremistisches Gedankengut im Namen des Islam verbreiten.
Traurige Wahrheit
Die traurige Wahrheit ist, dass der Verbandsislam in Europa von Organisationen des politischen Islam wie der Muslimbruderschaft oder Milli Görüş dominiert wird, die zwar gewaltfrei auftreten, deren Ideologie sich aber nicht wesentlich von jener der Dschihadisten unterscheidet.
Die Ideologie des politischen Islam hat sich in den letzten 45 Jahren zum Mainstream des Islam entwickelt. Religiöser Extremismus, Unduldsamkeit, die Einteilung der Menschen in Muslime und „Ungläubige“, die Utopie von einer islamischen Weltherrschaft, Überlegenheitsdenken, Intoleranz und die Akzeptanz von Gewalt zur „Verteidigung des Glaubens“ zeigen sich auch in der Mitte islamischer Gesellschaften und europäischer islamischer Communitys. Sie sind sich mit den Terroristen immer dann einig, wenn es gegen vermeintliche Feinde des Islam geht, gegen Juden, Homosexuelle, Atheisten, Apostaten und jene Muslime, die religiöse Gebote und Verbote nicht über alles stellen.
Die fortgesetzte massive Einwanderung aus Ländern, in denen derartige Islam- und Gesellschaftsvorstellungen von maßgeblichen Teilen der Bevölkerung getragen werden, wird das Klima in Europa zwangsläufig verändern und hat das Potenzial, das friedliche Zusammenleben in einer offenen Gesellschaft zu zerstören.
Nina Scholz ist Politikwissenschaftlerin und Autorin.
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