Eine nachhaltige Vision für die Länder des Westbalkans
Nach der Wahl ist vor den Regierungsverhandlungen.
Inflation, Migration und Energiekosten werden diesmal dabei eine besonders gewichtige Rolle einnehmen. Dennoch ist die Ausrichtung Österreichs in der Außen- und Europapolitik ein essenzieller Bestandteil für den Erhalt des Wohlstandes und unserer Rolle in der Welt. Traditionell steht hier der Westbalkan im Mittelpunkt – und das nicht umsonst. Österreich zählt zu den größten Investoren in der Region. Heimische Unternehmen sind omnipräsent im Alltag der lokalen Bevölkerung und österreichische Politikerinnen und Politiker werden nicht müde, ihre Unterstützung für den Westbalkan zu wiederholen. Zehn Jahre nach dem Start des Berliner Prozesses, und obwohl die öffentliche Debatte zur EU-Erweiterung durch den russischen Angriff auf die Ukraine neuen Schwung erhalten hat, ist die Realität ernüchternd.
Die Länder des Westbalkans sind noch immer vom schwierigen Vermächtnis ihrer sozialistischen Geschichte sowie schwelenden ethnischen Konflikten geprägt. Der Übergang von einer Planwirtschaft zu einer Marktwirtschaft, gepaart mit strukturellen Herausforderungen wie hoher Jugendarbeitslosigkeit, einer beträchtlichen Schattenwirtschaft und einer Wirtschaft, die auf wenigen Sektoren wie Tourismus, Bergbau oder Landwirtschaft basieren, stellt eine der größten Bewährungsproben dar. Jedoch wäre es fatal für Österreich und die EU, die Region nur anhand ihrer wirtschaftlichen Entwicklung zu messen und sich bei der Unterstützung auf dem Weg zum EU-Beitritt darauf zu verlassen, dass Wirtschaftswachstum automatisch demokratische Entwicklungen mit sich bringt. Dieser „Trickle-Down-Effekt“ ist nicht in Stein gemeißelt.
Stattdessen wäre es für beide Seiten wichtig, über den Tellerrand der EU-Erweiterung hinauszublicken. Einerseits müssen sich Mitgliedsstaaten politisch aber auch gesellschaftlich darauf vorbereiten, die Länder des Westbalkans nicht nur aufzunehmen, sondern auch erfolgreich zu integrieren. Dazu gehört neben einer dringenden Reform der Entscheidungsprozesse auf EU-Ebene auch ein offener Umgang mit der Bevölkerung bezüglich der Vor- und Nachteile der EU-Erweiterung. Sie ist nicht zuletzt deshalb zunehmend EU-kritisch, weil Prozesse und Entscheidungen entweder falsch oder nicht gut genug kommuniziert werden.
Andererseits geht es auch darum, dass Beitrittskandidaten die Mitgliedschaft nicht als Selbstzweck und „Ende der Geschichte“ interpretieren. Es liegt deshalb im beidseitigen Interesse, sicherzustellen, dass die demokratischen Institutionen in diesen Ländern nicht nur auf dem Papier denen der EU entsprechen, sondern auch nach einem EU-Beitritt tatsächlich im Sinne der Bevölkerung funktionieren. Dafür sind ambitionierte Ziele notwendig. Statt zu fragen: „Wie verhält sich Albanien als EU-Mitgliedsstaat?“, sollte man lieber fragen: „Wie schafft es Albanien, den Spagat zwischen nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung und dem Schutz der eigenen Traditionen und der Natur sicherzustellen?“ Es braucht daher eine grundlegendere Vision für den Westbalkan, um ein Szenario zu verhindern, in dem es zu einem erneuten Rückzug demokratischer Entwicklungen innerhalb der EU kommt.
Maximilian Eduardo Lehmann studiert als erster Österreicher am College of Europe in Tirana (Albanien)
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