Die Kommissionspräsidentin hat sich durchgesetzt
Am Dienstag hat die wiedergewählte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr neues Team vorgestellt. Wie bisher ist jedes Mitgliedsland mit einem Kommissar oder einer Kommissarin darin vertreten. Der EU-Vertrag sieht eigentlich eine Begrenzung auf 18 Mitglieder vor, die Staats- und Regierungschefs konnten einer Verschlankung aber auch diesmal nichts abgewinnen. Ebenso wenig dem Vorschlag von der Leyens, je eine Frau und einen Mann für die Kommission zu nominieren.
Dennoch scheint sie ihre Vorstellungen weitestgehend durchgesetzt zu haben. Zwar beträgt der Frauenanteil nur 40 Prozent, jedoch sind vier von sechs der einflussreichen Vizepräsidenten weiblich. Auch sonst nehmen viele Frauen Schlüsselpositionen wahr, etwa die Ressorts Wettbewerbsfähigkeit, Digitales, Finanzdienstleistungen, Umwelt, Außenpolitik und Erweiterung. Wenig überraschend werden die Kandidaten der großen EU-Länder zentrale Fachbereiche übernehmen, doch auch kleine wie die baltischen Staaten oder Slowenien können mit ihrem Portfolio zufrieden sein. Kandidaten mit geringer politischer Erfahrung sowie das renitente Ungarn wurden dagegen mit sekundären Aufgaben bedacht, während Magnus Brunner sich, als Kommissar für Inneres und Migration, einem der wichtigsten und kontroversesten Aufgabenbereiche widmen wird. Auf ihn warten, im Team mit anderen Kommissionsmitgliedern, etwa die Umsetzung der Reform des Gemeinsamen EU-Asylsystems und die Sicherung und Erweiterung des Schengen-Raums. Österreich hat sich bekanntermaßen in diesen Bereichen hart bzw. kontroversiell positioniert, allerdings wird Brunner gesamteuropäische Interessen zu vertreten haben, und eben nicht nationale.
Die neue Kommission ist geografisch und parteipolitisch ausbalanciert, die Schwerpunktsetzung entspricht parlamentarischen Kompromissen und realpolitischen Notwendigkeiten. Aber in Stein gemeißelt ist sie noch nicht. Die finale Entscheidung liegt bei den EU-Abgeordneten, die in Hearings alle Kandidaten noch einmal fachlich prüfen, Hier hat das EU-Parlament schon des Öfteren seine Muskeln spielen lassen und Anwärter nach Hause geschickt. Ein starker Demokratiebeweis übrigens, den es etwa in Österreich so nicht gibt. Kein heimisches Regierungsmitglied muss sich vor Amtsantritt einem parlamentarischen Eignungstest unterziehen. Aktuell könnte es etwa die Wackelkandidaten Olivér Várhelyi aus Ungarn oder Raffaele Fitto aus Italien treffen, deren Austausch den Arbeitsbeginn der neuen Kommission verschieben würde.
Ganz bewusst hat von der Leyen inhaltliche Zuständigkeiten ressortübergreifend verteilt, sodass einzelne Kommissare eng zusammenarbeiten müssen – und nicht zu viel eigene Macht aufbauen. „Teile und herrsche“, könnte sie sich dabei gedacht haben. Die Hierarchien sind jedenfalls klar, die Letztentscheidung trifft stets die Präsidentin.
Paul Schmidt ist Generalsekretär der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik – ÖGfE
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