Die EU steht vor einer Herkulesaufgabe

Jan Kluge beschrieb vor einer Woche (5. 6.) im KURIER ein Untergangsszenario für die EU
Festhalten an alten Glaubenssätzen schadet dem Standort. Eine Replik auf die Agenda Austria von Helene Schuberth.

In einem Punkt hat Jan Kluge von der Agenda Austria recht: Die EU verliert im globalen Wettbewerb an Boden. Der von Kluge skizzierte Ausweg, das Schließen von Freihandelsabkommen und die Stärkung des Binnenmarktes – Letzteres oft verwendet als Paraphrase für Bürokratieabbau, Schwächung des Sozialstaats und Rückzug des Staates zur freien Entfaltung der Marktkräfte – würde jedoch die ökonomischen Probleme der EU weiter vertiefen. Gerade das Festhalten an althergebrachten, marktliberalen Dogmen ist ja einer der Gründe dafür, dass die EU wieder einmal – im Vergleich zu den USA und China – geschwächt aus einer Krise hervorgeht. Das zeigt sich besonders an der fehlenden aktiven Industriepolitik der EU. Ein weiterer Grund für die relative Schwäche Europas ist, dass die EU auf die vergangenen Krisen viel zu wenig europäisch und mit teilweise falscher Schwerpunktsetzung reagiert hat.

Die EU steht vor einer Herkulesaufgabe

Helene Schuberth

Die USA haben auf die kraftvollen industriepolitischen Impulse Chinas mit dem Inflation Reduction Act geantwortet, der Förderungen für Unternehmen an hohe inländische Wertschöpfung und hohe lohnpolitische Standards knüpft. Was macht die EU? Sie beschließt viel zu strenge Fiskalregeln, die Investitionen in den Standort und die Transformation im notwendigen Ausmaß nicht zulassen und die Länder in eine weitere ökonomische Schwächephase katapultieren werden. Die Fiskalregeln sind auch so ausgestaltet, dass der Sozialstaat ausgehöhlt zu werden droht.

Eine fehlgeleitete wirtschaftspolitische Ausrichtung zeigte sich besonders deutlich in der Reaktion auf die Energiekrise. Hätte sich mit Beginn des Preisanstiegs eine Mehrheit für das iberische Modell, den Eingriff in den liberalisierten Energiemarkt, gefunden, um die Strompreise von den galoppierenden Gaspreisen zu entkoppeln, wäre der Preisauftrieb bedeutend niedriger gewesen.

Die EU steht vor einer Herkulesaufgabe historischen Ausmaßes: die Umgestaltung der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität bei hohen sozialen und lohnpolitischen Standards voranzutreiben und gleichzeitig die Produktivkräfte zu heben. Dass die Gewerkschaften, wie Kluge andeutet, mit ihrer Forderung nach Arbeitszeitverkürzung dem Standort schaden würden, zeugt von fehlendem ökonomischem Verständnis. Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich führen in der Regel zu höherer Produktivität. Dies insbesondere dann, wenn die Verkürzung der Arbeitszeit so ausgestaltet ist, dass Betriebe ihre Abläufe schrittweise anpassen können. Gleichzeitig aber muss die hohe Teilzeitquote stark abgesenkt werden. Gerade die Verkürzung der Arbeitszeit für Vollzeitarbeitskräfte ist eine der Voraussetzungen dafür, dass das auch gelingt: die Care-Arbeit kann damit zwischen Frauen und Männern besser verteilt werden, was es den Frauen wiederum ermöglicht, ihre Arbeitszeit aufstocken zu können.

Helene Schuberth ist Leiterin des Volkswirtschaftlichen Referats im ÖGB

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