Die EU braucht keine Kriegswirtschaft

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Es wäre höchst an der Zeit, verbal wieder abzurüsten. Dazu gehört auch das Vorhaben, einen Rüstungskommissar zu installieren. Ein Gastkommentar von Stefan Brocza.

Wenn ich Präsidentin der nächsten Europäischen Kommission wäre, würde ich einen Kommissar für Verteidigung haben“, verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz. Da wohl davon auszugehen ist, dass sie dieses Amt tatsächlich für weitere fünf Jahre ausüben wird, stellt sich die Frage, wie diese Ankündigung in die Realität umgesetzt werden kann. Denn europarechtlich ist das gar nicht so einfach.

Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU umfasst auch die „schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen kann“ (Artikel 24 EU-Vertrag). Ausgeführt wird die GASP vom Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik (das wäre aktuell Josep Borrell) und den EU-Mitgliedstaaten. Von einer Zuständigkeit der EU-Kommission für diesen Bereich findet sich nichts im Europarecht. Deshalb überrascht es auch nicht, dass EU-Chefdiplomat Borrell auf von der Leyens Ankündigung mit dem Hinweis reagierte, dass ein Verteidigungsressort innerhalb der EU-Kommission gegen die geltenden EU-Verträge verstoßen würde.

Die EU braucht keine Kriegswirtschaft

Stefan Brocza

Verteidigung ist eine Sache, Verteidigungsindustrie eine andere. Hier besteht tatsächlich eine Zuständigkeit der EU-Kommission. Seit 2019 gibt es bereits eine eigene Generaldirektion für Verteidigungsindustrie und Raumfahrt (Defence Industry and Space – DEFIS). Sie ist dem aktuellen Binnenmarktkommissar Thierry Breton unterstellt und soll die Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie gewährleisten, indem sie die Entwicklung einer fähigen technologischen und industriellen Basis für die europäische Verteidigung sicherstellt.

Zudem wurde bereits 2013 eine EU-Strategie zur Steigerung der Effizienz der europäischen Wehrtechnik und Rüstungsindustrie beschlossen, sowie 2016 durch einen Aktionsplan der Verteidigungsindustrie neue Impulse gegeben.

Wie man von diesem typisch technokratischen Ansatz zur Stärkung einer europäischen Industriesparte zum angekündigten „Verteidigungskommissar“ kommen möchte, müsste wohl noch eingehend überdacht werden. Kontraproduktiv erscheinen dabei jedenfalls martialische Aussagen wie jene von Thierry Breton, wonach die EU schleunigst „auf Kriegswirtschaft umstellen“ müsse.

Kriegswirtschaft bedeutet bekanntlich eine auf die Notwendigkeiten eines Krieges ausgerichtete Wirtschaftsordnung. Es besteht in der EU kein Bedarf für eine wie auch immer geartete wirtschaftspolitische Mobilmachung zur Bereitstellung von militärischen Gütern.

Es wäre höchst an der Zeit, verbal wieder abzurüsten. Die EU steht unzweifelhaft vor großen politischen Herausforderungen. Diese können jedoch mit den bestehenden Instrumentarien und politischen Institutionen ohne größere Probleme bewältigt werden. Den politisch Verantwortlichen sei daher ins Stammbuch geschrieben: Wir sind meilenweit davon entfernt, einen Rüstungskommissar à la Albert Speer (war Rüstungsminister in Nazi-Deutschland, Anm.) schaffen zu müssen.

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