Causa Schilling: Grüne in der Strategie-Sackgasse
So schnell kann es gehen: Vor wenigen Tagen konnten die Grünen mit ihrer Regierungsarbeit vermeintlich zufrieden sein. Unterstützt von einer wohlwollenden Medienlandschaft haben die 14%-Grünen die 37%-Volkspartei im Themensetting gefühlt dominiert. Mit der Causa Schilling dreht sich der günstige Wind. Dabei werden grobe strategische Schwächen der grünen Führungsspitze offensichtlich.
Wer „Herz & Anstand“ als Markenkern und seit Peter Pilz die politische Wadlbeißerei zum politischen Programm erhoben hat, darf sich nicht wundern, dass dieselben Maßstäbe an eigenes Verhalten gelegt werden. Und die Krisenkommunikation in der Causa Schilling in alter Wagenburg-Mentalität ist gelinde gesagt überraschend. Das Abtun der Vorwürfe als „anonymes Gemurkse“ und „Gefurze“ wird die Geschichte nicht beenden, und von nun an sind die Grünen auch als Partei mittendrin statt nur dabei.
Die Positionierung „mit Anstand“ ist Teil der DNA der Grünen. Diese wurde mit dem Gefurze-Sager konterkariert – das ist eben kein anständiger, adäquater Umgang mit der Situation. Die Reaktion überrascht umso mehr, als man bei der Demontage von Sebastian Kurz nicht zimperlich war. Angeblich aus Anstand. Ausgerechnet jenen Mann ließen die Grünen über die Klinge springen, der diese Koalition mathematisch und politisch erst möglich gemacht hat. Aus einem Reflex der vermeintlichen moralischen Überlegenheit erledigen die Grünen so das Geschäft des „Kurz muss weg“-Kickl und bringen die FPÖ in Richtung 30%. Eine strategische Meisterleistung.
Am Ziel, der SPÖ den Rang als führende Mitte-links-Partei abzulaufen, ist man zudem gescheitert. Anstatt neue Zielgruppen pragmatisch für grüne Themen zu begeistern, betreibt man radikale NGO-Klientel-Politik. So kann man eine schwächelnde und mit sich selbst beschäftigte SPÖ nicht gefährden. Wer sich thematisch und personell nicht verbreitert, bleibt strategisch limitiert.
Dazu kommt die versuchte Doppelrolle als Regierungs- und gleichzeitig Oppositionspartei. Wer U-Ausschüsse zur Abrechnung mit dem Regierungspartner nutzt, wem die Profilierung einzelner Abgeordneter wichtiger ist als gemeinsame Regierungsarbeit, wer willkürlich Entscheidungen junktimiert wie zu Zeiten des rot-schwarzen Stillstands, macht klar, dass er nicht weiß, wer er eigentlich in der Praxis ist.
Die Causa Schilling zeigt den Ursprung des strategischen Problems der Grünen: Anspruch und Wirklichkeit klaffen in Kernfragen auseinander. Der politische Anstand gilt sichtlich nur für die anderen, man kann keine breite politische Bewegung aufbauen und sich nicht zwischen Regierung und Opposition entscheiden. Die Grünen haben so bewiesen, dass sie weder verlässlich noch loyal noch pakttreu sind – wer soll sich das zukünftig in einer Regierung antun?
Markus Keschmann ist politischer Kampagnen-Manager und war in verschiedenen Positionen für die ÖVP tätig.
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