Alternative zu Blau-Türkis: Echte parlamentarische Demokratie!

Matznetter plädiert für eine Expertenregierung mit Gesetzesinitiativen aus dem Nationalrat
Horcht man in die ÖVP hinein, so vernimmt man viele Stimmen, die sich ähnlich selbstkritisch wie Christian Stocker mit dem Schwenk zur Kickl-FPÖ geben, aber im selben Atemzug keine Alternative zu einer Kickl-Regierung sehen. Unverhohlen hört man aus der FPÖ den Wunsch zum Umbau der Republik, ganz nach dem Drehbuch Orbáns. Damit stellt sich den politisch interessierten Beobachtern die Frage: Gibt es eine Alternative zu den beiden Möglichkeiten Abbau der Demokratie in einer Dritten Republik oder Neuwahlen mit weiterer Stärkung der FPÖ?

Christoph Matznetter
Ich meine ja! Die Rettung der Demokratie könnte dadurch erfolgen, dass in diesem Land überhaupt erst einmal eine echte parlamentarische Demokratie versucht wird. Eine solche ist dadurch gekennzeichnet, dass Gesetze durch die gewählte gesetzgebende Versammlung, den Nationalrat, und nicht durch die Regierung gemacht werden. Würden jene Teile der ÖVP, die mit der völligen Unterwerfung unter die 28-%-Partei FPÖ und ihren selbst ernannten „Volkskanzler“ Kickl vermeiden wollen, gemeinsam mit der SPÖ dem Bundespräsidenten vorschlagen, eine Bundesregierung aus Damen und Herren mit entsprechendem Renommee und Kompetenz und einem gewissen Naheverhältnis zu vier demokratischen Parteien mit gemeinsamer Mehrheit von über 70% (VP, SP, Neos und Grüne) zu bilden, könnte diese sicher sein, nicht mit Misstrauensantrag des Parlaments abgesetzt zu werden. Gleichzeitig könnten sich VP und SP auf Leitprojekte sowie die notwendigen Grundlagen, insbesondere die Eckpunkte für die Budgets 2025 und 2026, einigen und für einzelne Projekte vorweg um Unterstützung bei Neos oder Grünen anfragen und dies dem Bundespräsidenten signalisieren.
Großer Vorteil wäre dabei, dass für diese Projekte kein ins Detail ausgetüfteltes Regierungsprogramm erforderlich ist, da ja die Mehrheiten im Nationalrat für die einzelnen Vorhaben erst in Zukunft gefunden werden. Auch fiele es den Parteien leichter, unpopulären Maßnahmen zur Budgetsanierung zuzustimmen, wenn die Vollziehung dieser Gesetze durch eine Bundesregierung erfolgt, die nicht direkt den Parteien zugerechnet werden kann. Die Sozialpartnerschaft könnte flankierend bei der Skizzierung der Gesetzesvorhaben für die laufende Gesetzgebungsperiode helfen.
Mit der Verfassungsmehrheit könnte weiters die Demokratie gefestigt werden; dabei könnten erahnten Wünsche nach einem „Umbau“ der Republik nach dem Muster Ungarn auch bei anderen künftigen, einfachen Mehrheiten ein verfassungsrechtlicher Riegel vorgeschoben werden. Ich appelliere an die demokratischen Kräfte in der Volkspartei, eine solche Alternative ins Auge zu fassen. Natürlich müssten diese der neuen Führung unter Stocker in den Arm fallen und ihre Partei damit vor der weiteren Demütigung durch Kickl retten. Mit dem Mut zum Versuch einer echten parlamentarischen Demokratie würden sie nicht nur ihrer Partei, sondern dem ganzen Land einen guten Dienst erweisen.
Christoph Matznetter ist Präsident des Sozialdemokratischen Wirtschaftsverbandes und sitzt in Parteipräsidium und Vorstand der SPÖ
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