Freundschaft, ein Missverständnis?

Barbara Kaufmann

Barbara Kaufmann

Sich selbst im anderen wiederfinden verbindet Freunde miteinander.

von Barbara Kaufmann

über Freunde

Freunde sind die Familie, die man sich aussucht. Natürlich, wenn man Glück hat, im besten Fall, können auch Familienmitglieder Freunde sein. „Wenn ich mit meiner Frau meine Kinder treffe“, schrieb mein Professor, der Autor und Regisseur Walter Wippersberg einmal, „dann sitzen da vier Menschen um einen Tisch, die sich mögen. Auch mögen würden, wenn sie nicht verwandt wären.“

Wippersberg war für uns Studenten das, was man einen väterlichen Freund nennt. Unterstützend, ermutigend, motivierend. Einer, der nichts von einem erwartete, der keinen falschen Ehrgeiz in uns auslebte, den man deshalb auch niemals enttäuschen konnte. Mehr Freund als Vater also. Als er vor einem Jahr starb, hatten trotzdem einige von uns das Gefühl, einen Vater zu verlieren. Nach dem Ende meines Studiums waren wir nur lose in Kontakt. Aber ich wusste, würde ich ihn brauchen, wäre er da. Vielleicht ist das der Kern von Freundschaft. Die Gewissheit der Gegenwart des Anderen. Auch in seiner Abwesenheit.

Aus der Literaturgeschichte kennen wir Beispiele von innigen Freundschaften, die hauptsächlich in Briefen gelebt wurden. „Du gehörst zu mir, selbst, wenn ich dich nie mehr sehen würde“, schreibt Franz Kafka an seine Liebe Milena Jesenská. Heute schicken sich Menschen über WhatsApp, Facebook und Twitter Nachrichten und führen virtuelle Beziehungen. Sind diese Freundschaften deshalb „unwahrer“?

Freunderlwirtschaft

Ja, meint der Publizist Björn Vedder, der ein ganzes Buch über die „neuen Freunde“ der Onlinewelt geschrieben hat. Der narzisstische Mensch, der die Gegenwart dominiert, schließt solche Freundschaften aus ökonomischen Gründen. Um beruflich weiterzukommen, aufzusteigen, voneinander zu profitieren. Freunderlwirtschaft. Eine Beziehung als Tauschgeschäft. Ein negativer Befund, der etwas Wichtiges übersieht. Gerade das Netz bietet Menschen die Möglichkeit, Beziehungen miteinander einzugehen, die dem Regelwerk einer zunehmend brutalen Selbstvermarktungsmaschinerie nicht entsprechen. Oder sich ihm bewusst verweigern. Virtuelle Freundschaften sind genauso von Projektionen und Fantasien bestimmt wie jede zwischenmenschliche Beziehung. Sich selbst im anderen wiederfinden verbindet Freunde miteinander. Es ist auch das größte Risiko jeder Freundschaft.

Ich habe einen Freund, der zuverlässig unzuverlässig ist. Er ist sehr treu in seiner Untreue. Wochen höre ich nichts von ihm, dann plötzlich taucht er wieder auf. Und jedes Mal, wenn ich mich darüber beschweren will, werde ich verlässlich mit meiner eigenen Unzuverlässigkeit konfrontiert. Das schmerzt. Und hält uns gleichzeitig zusammen. Ein schönes und berührendes Dokument lebenslanger Freundschaft ist diese Woche im Falter zu lesen. Es ist der Nachruf auf den Viennale-Direktor Hans Hurch, geschrieben von seinem Freund Armin Thurnher. Da spürt man die gemeinsame Geschichte in jedem Satz. Da sagt ein Freund adieu zum anderen, für immer. So einen Text würde ich auch gerne über mich lesen, wenn ich nicht mehr bin. Doch mein bester Freund hat ihn verweigert. „Wenn du es wagst, vor mir zu sterben“, schrieb er mir wütend, „ist das das Ende unserer Freundschaft!“ Eine Drohung für die Ewigkeit.

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