In Krisenzeiten schart sich das Volk um seine Führer wie die Schafherde um ihren Hirten. Diese Binse hat sich selten so eindrücklich bestätigt wie im hoffentlich bald verendenden Jahr.
Angela Merkel hat auch im zweiten deutschen Lockdown Zustimmungswerte wie nie in ihrer bald 16-jährigen Laufbahn, und selbst Merkel-Beißer fragen angesichts der Alternativen schon: warum nur 16 Jahre? Sebastian Kurz, dem nicht ungewollt der Nimbus anhaftet, über Wasser gehen zu können, ist im Frühjahr in den Umfragewerten gen’ Himmel gefahren und liegt auch jetzt noch sehr gut, auch wenn die Corona-Performance der Regierung im Herbst mehr als nur ins trotzige Stottern kam.
Man muss schon mit einem begnadeten Unvermögen gesegnet sein, in einem Katastrophenjahr wie diesem von seinen Wählern in die Wüste geschickt zu werden. Aber an dieser Segnung des Donald Trump bestand ja von Anfang an wenig Zweifel.
Aber warum, wenn die lenkende Hand der Regierenden, die von ihnen verkündeten Maßnahmen und Kasteiungen in der Not so geschätzt werden, stiebt die Herde jetzt so in alle Richtungen, nur nicht in jene, die die Hirten wollen? Wieso lässt sich die Pandemie nicht mit der Disziplin in den Griff kriegen, deren Verordnung wir uns so wünschen?
Das hat auch mit Pandemie-Müdigkeit zu tun, aber viel mit einem merkwürdigen Freiheitsverständnis. Die Gesellschaft sei frei wie nie, sagt die deutsche Jungpolitikerin und Ex-Piratin Marina Weisband im KURIER-Interview, aber „wir sind überfordert davon, dass wir so viel Freiheit haben.“ In dieser Überforderung lassen sich Menschen mit Hingabe bis in die absurdeste Kleinigkeit überregulieren, opfern ihre Freiheit. „Brot und Spiele“ war gestern, „Gebt uns Regeln“ ist heute – zumal das schöne ja ist: Wir können uns ja die Freiheit nehmen, die Regeln zu brechen oder gar nicht erst anzunehmen.
Das ist der verbreitete Status gerade: Ein guter Teil der Bevölkerung hält sich an die Corona-Regeln, aus Sorge um die eigene und anderer Menschen Gesundheit und um der Pandemie beizukommen. Ein großer anderer Teil pfeift drauf, von Maske bis Test, von Quarantäne bis Partyverbot, und nicht Wenige berufen sich dabei auf die Freiheit, die es zu bewahren gelte. Was für eine Freiheit? Die Gesellschafts ins verlängerte Unglück zu stürzen? In Pandemiezeiten gibt es zwei Güter, die das Gut Freiheit stechen: Verantwortung statt Verantwortungslosigkeit, Rücksichtnahme statt Rücksichtslosigkeit.
Die politischen Führer können das so nicht sagen, Gott behüte, die Populisten lauern ohnehin schon auf Seiten der Freiheitsrufer. Aber sie handeln danach, indem sie Verantwortung und Rücksicht mit einem Regelkorsett begleiten – auch weil’s anders nicht geht. Und erhalten dafür, siehe oben, beste Zustimmungswerte. Diesen Widerspruch verstehe, wer will.
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