Wobei die Kickl-Partei am Donnerstag im historischen Reichsratssaal unsouverän wirkte: Die FPÖ-Abgeordneten verweigerten dem Bundespräsidenten bei seiner Antrittsrede für die zweite Amtsperiode den Applaus, auch nach Passagen, denen jeder Demokrat zustimmen muss. Eine Retourkutsche: Am Vorabend hatte Van der Bellen in einem ORF-Interview erläutert, warum er sich schwertun würde, Kickl als Kanzler zu akzeptieren. Wasser auf die Mühlen der FPÖ, die immer erfolgreich war, wenn sie auf dem Anti-Establishment-Trip war.
Angesichts der steigenden FPÖ-Umfragewerte wandelte sich die zunächst wahltaktische Warnung der ÖVP vor Blau-Rot in ein nicht mehr ganz unrealistisches Szenario. Die seit Jahren laufende Debatte über ÖVP-Korruption hat den Wahlkampf der Landeshauptfrau überschattet. Das Zugpferd Sebastian Kurz, das auch Landespolitikern Rückenwind verlieh, ist weg. Längst ist außerdem vergessen, dass der Ausgangspunkt aller Turbulenzen das Ibiza-Video und eine FPÖ-Postenbesetzung (Peter Sidlo) war. Dazu kommen eine angespannte Weltlage und eine schwierige Koalition im Bund, die das ideologische Profil der ÖVP verblassen ließ. Das treibt der FPÖ wieder die Stimmen zu, die Kurz von dort gewonnen hatte.
Lösungen anzubieten hat die FPÖ selten, aber sie spricht bei etlichen Themen die brodelnde Volksseele an. Viele Bürger sind genervt von der Moralkeule, mit der auf ihre Autos, ihr Schnitzel und ihre ungegenderte Rede eingeprügelt wird. Die Impfgegner und selbst jene, die die Coronamaßnahmen für übertrieben und die Maskenpflicht in Wiener Öffis lächerlich finden, werden ausschließlich von der FPÖ „abgeholt“. Genauso wie jene, die sich Sorgen machen, dass Europa mit Waffenlieferungen an die Ukraine in einen 3. Weltkrieg schlittert. Dann wäre da noch die ungesteuerte Migration, von der Österreich mehr als alle anderen Länder in Europa betroffen ist. Die SPÖ ist seit Jahren unfähig, dazu eine klare Position zu entwickeln. Gegensteuerungsversuche der ÖVP werden als Populismus abgekanzelt. Und Höchstgerichte verhindern, dass illegal Eingereiste abgeschoben werden können.
Bei Teilen der Bevölkerung hat sich mittlerweile Resignation oder sogar ein diffuser Hass auf Institutionen breitgemacht. Van der Bellen wandelte in seiner Rede den Satz eines großen Niederösterreichers aus dem Jahr 1945 ab: „Zu Leopold Figls Zeiten hatten wir nichts, aber wir hatten die Hoffnung. Glaubt man den aktuellen Umfragen, so scheint es fast, als hätten wir alles, außer die Hoffnung.“ Richtiger Befund – und eine schwierige Ausgangslage für die heutige Wahl.
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