Englands junge Wilde

Paul Scharner

Paul Scharner

England ist mein Geheimfavorit!

von Paul Scharner

über die EURO 2016

Nach meinen Jahren in England hätte ich nicht erwartet, dass ich das englische Nationalteam in naher Zukunft als titelgefährlich beschreiben könnte.

Hiermit möchte ich es doch tun: England ist mein Geheimfavorit! Kurzer Blick zurück: In der Saison 2011/2012 spielte ich für West Bromwich. Bei einem Meeting in der Weihnachtszeit sagte ich zu Trainer Roy Hodgson, dass ich noch nie in meiner Karriere einen so negativ denkenden Trainer erlebt hätte. Bald danach brach ich mir eine Rippe, arbeitete am Comeback – und kam kaum noch zum Einsatz. Das war die Revanche von Hodgson, weil er wusste, dass ich in meinem Vertrag eine Verlängerungsklausel hatte. Ab 25 Einsätzen hätte sich der sehr gut dotierte Kontrakt verlängert, also ließ man mich nicht mehr auf die 25 Spiele kommen.

Bei West Bromwich war Hodgson noch ein strikter Verfechter eines klassischen 4-4-2-Systems. Wir übten hauptsächlich das Im-Raum-Verschieben und In-der-Position-Bleiben. Für Kreativität war nicht viel Platz. Was für ein Unterschied zum aktuellen, jungen und wahnsinnig talentierten englischen Nationalteam! Als Hodgson 2012 direkt von West Brom zum Verband wechselte, profitierte er von den Enttäuschungen mit den internationalen Star-Trainern davor. Die FA wollte einen ehrlichen, erfahrenen, englischen Coach. Vorschusslorbeeren gab es nicht, aber Hodgson schaffte mit seiner Ruhe nach 40 Jahren als Trainer den Umbruch. Bis auf Tormann Hart, Cahill, Milner und Rooney gibt es im Kader keine Routiniers mehr. Dafür umso mehr Talente. Erstmals wirkt sich positiv aus, dass 2012 die Nachwuchsarbeit neu aufgesetzt worden war. Seither werden in den Akademien ganz strenge Maßstäbe angelegt.

Das Ergebnis sind die jungen Wilden wie Dele Alli (Tottenham) oder Rashford (Manchester United). Der Gesamtwert des Kaders beträgt laut transfermarkt.at 477 Millionen Euro. Mit dem Schub an neuen Kräften hat sich auch Hodgson geöffnet. Er lässt mittlerweile offensiv und spektakulär spielen, teils mit drei Stürmern. Früher war er meist mit einem Unentschieden zufrieden. Das war für mich immer der erste Schritt zur Niederlage, weil man dann auch im Kopf unentschieden ist. Wenn Hodgson es jetzt schafft, diesen Talenten den Mut zum Sieg zu vermitteln, können sie in Frankreich vieles schaffen. Immerhin war England das beste Team der Qualifikation. Noch vor Österreich übrigens.

paul.scharner@kurier.at

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