Wann ist es eigentlich eingerissen, andere Meinungen als (Medien-)Qualitätsmangel, amoralisch, dumm abzuqualifizieren? Frauen mit kantigen Ansichten sind besonders oft Zielscheibe aggressiver Beschimpfungen. Diese Diskurs-Verengung trifft natürlich auch Männer und bedroht die Meinungsfreiheit in westlichen Industrieländern stärker, als die oft beschworenen (und in der Realität eher unbedeutenden) Politiker-Interventionen.
Aus Sicht eines russischen Journalisten oder einer afghanischen Frauenrechtlerin sind das aber ohnehin nur Luxusprobleme. Offene Meinungsäußerung kann in weiten Teilen der Welt Gefängnis und Schlimmeres bedeuten. Anlässlich des Tags der Pressefreiheit am kommenden Dienstag haben wir daher einer iranisch-österreichischen Künstlerin das Cover und Teile der heutigen Zeitung zur Gestaltung überlassen: Sie widmet sich den Frauen in der islamischen Welt, die vielfach ihrer Rechte beraubt werden. Und sie tut das auf radikale und verstörende Art und Weise: Ein Schlauch dient in solchen Ländern als Züchtigungsmittel. Er ist Symbol für Gewalt und Unterdrückung – und lässt die Künstlerin auf unserem Titelblatt verschwinden, nimmt ihr den Atem.
Wir hingegen leben zum Glück in einem Land, wo gesetzlich seit 1867 abgesichert Meinungsfreiheit besteht. In der gesellschaftlichen Wirklichkeit aber würden manche am liebsten eine Meinungsdiktatur errichten, halten ihre Ansichten für sakrosankt, andere aber für des Teufels. Der mittelalterliche Pranger ist längst durch einen virtuellen ersetzt. An ihm werden Menschen ohne jedes Gerichtsurteil ausgestellt und vernichtet.
Ja, da dürfen sich auch Medien selbst an der Nase nehmen. ORF-Reporter Christian Wehrschütz hat in einem KURIER-Interview anlässlich seiner Romy-Preisverleihung gesagt: „Wir haben nicht Richter zu sein als Journalisten.“ Die Einteilung der Welt in Gut und Böse ist tatsächlich Gift für die Gesellschaft. Der immer häufiger gehörte Satz – „Das darf man ja nicht mehr sagen“ – zeigt die wachsende Kluft.
Die eingangs beschimpfte KURIER-Redakteurin ist übrigens besonders kompetent. Vergangenen Sonntag trat sie in einem TV-Talk auf, wo man über die Ukraine diskutierte. Gerade jetzt, wo die Wahrheit im Bombenhagel steht, sollten wir unser Bewusstsein für die Notwendigkeit freien Denkens und Redens und einer kritischen, unabhängigen Presse schärfen. Das zelebrieren wir heute mit einer künstlerischen Intervention, als Mahnung gegen jede Form eingeschränkter Meinungsfreiheit.
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