Eine Demokratie schafft sich ab

Die Türkei hat sich für die Einführung eines Präsidialsystems entschieden. Die Überraschung hält sich in Grenzen, die Folgen sind nicht vorhersehbar, versprechen aber wenig Gutes.
Stefan Kaltenbrunner

Stefan Kaltenbrunner

Die Türkei hat sich dafür entschieden, einen Rechtsstaat gegen eine Willkürherrschaft zu tauschen.

von Stefan Kaltenbrunner

Über das Referendum in der Türkei

Bis zuletzt haben sich die Gegner von Recep Tayyip Erdoğan Hoffnungen gemacht, dass sich die mehr als 55 Millionen wahlberechtigten Türken doch noch gegen die Einführung eines Präsidialsystems und für die Demokratie entscheiden. Am Ende wurde es denkbar knapp. Die Mehrheit der Türken hat sich, wie es aktuell aussieht, aber dafür entschieden, einen mehr oder weniger funktionierenden Rechtsstaat gegen eine Willkürherrschaft zu tauschen. Aber vielleicht war es naiv zu glauben, dass Erdoğan in eine Abstimmung geht, die er möglicherweise verlieren hätte können. Und natürlich werden Stimmen über einen Wahlbetrug laut, aber sie werden genauso verhallen wie jene, die vor den Allmachtsfantasien des Präsidenten warnten, die er sich jetzt amtlich vom Volk hat legitimieren lassen, und die ihm jetzt mehr Macht geben werden als jedem anderem Staatspräsidenten vor ihm.

Das Abstimmungsergebnis ist damit die logische Konsequenz der schrittweisen Abschaffung einer demokratischen Türkei, die von Erdoğan nach dem Putsch im vergangenen Sommer wie aus dem Lehrbuch mit beispiellosen Säuberungs- und Verhaftungswellen von unliebsamen Kritikern durchgezogen wurde. Und das alles vor den Augen eines fassungslosen Westens, der sich durch den Flüchtlingsdeal in eine ausweglose Abhängigkeit manövrierte, die ihn über Jahre hinaus handlungsunfähig zu machen scheint. Gegen Erdoğans Umbau der Türkei in ein autoritäres Regime vermochte die EU so keine Antworten zu finden.

Die Folgen dieses Votums sind heute noch nicht absehbar. Erdoğan wird wohl im Sog dieses Sieges die restlichen noch funktionierenden demokratischen Institutionen in den nächsten Wochen und Monaten noch weiter eliminieren, dem Islam eine noch größere Rolle zuordnen, die Wiedereinführung der Todesstrafe zur Abstimmung bringen. Das Land dürfte die Auswirkungen dieser Entscheidung über Jahrzehnte zu spüren bekommen, die politische und wirtschaftliche Stabilität, die Erdoğan in seinem Wahlkampf versprochen hat, wird sich als illusorisch erweisen. Genau das Gegenteil dürfte wohl der Fall sein. Die 49-Prozent der Nein-Stimmen werden sich auf Dauer nicht durch Repressalien mundtot machen lassen können. Der Westen wird sein Verhältnis mit der Türkei aber komplett neu ordnen müssen, mit einem Land, das sich nicht für eine demokratische Zukunft, sondern in einer politischen Rückwärtsbewegung für längst vergangene geglaubte finstere Zeiten entschieden hat.

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