Ein Virus und die Lernfähigkeit

Ein Virus und die Lernfähigkeit
Werden wir jetzt alle Fehler korrigieren? Kaum denkbar

Lehren. Dieses verdammte Virus wird wenigstens unsere Welt verändern. Jetzt endlich wird die Gigantomanie der vergangenen Jahrzehnte offenkundig, jetzt leuchten auch den verbohrtesten Kapitalisten die Nachteile der hemmungslosen Globalisierung ein, jetzt spüren wir wenigstens die Abhängigkeit von Produktionsmitteln in fernen Kontinenten, die Oberflächlichkeit unserer zwischenmenschlichen Beziehungen. Jetzt leiden wir, und danach wird alles anders. Dann wird alles gut.

Optimismus ist großartig. Naivität ist dumm.

Schon nach wenigen Wochen des Shutdowns war der Wunsch nach „Normalität“ übermächtig. Überall einkaufen, Freunde treffen zu können, die Kinder in der Schule zu wissen und keine Angst um seinen Arbeitsplatz haben zu müssen. Alles soll so sein, wie früher.

Normal war bisher aber auch, billig T-Shirts aus Bangladesh zu beziehen, Medikamente in China produzieren zu lassen und Kartoffel von Italien nach Dänemark zum Waschen zu transportieren, um sie dann wieder in Italien zu verkaufen. Das soll sich jetzt aber doch ändern, bitte!

Nur: Wer glaubt denn wirklich, dass nicht weiterhin ein Gerät in Fernost produziert wird, wenn es dort trotz Transportkosten um einen Cent pro Stück billiger ist als in Europa? Das Gedächtnis, was Krisen anbelangt, ist ein kurzes.

Sobald Covid-19 nicht mehr präsent ist, werden die guten Vorsätze, ab jetzt alles (na ja, vielleicht wenigstens vieles) anders zu machen, vergessen sein.

Keine Schüler

Die Geschichte lehrt dauernd, aber sie findet keine Schüler, sagte Ingeborg Bachmann. Die Spanische Grippe, die ab 1918 weltweit rund 50 Millionen Tote hinterließ, manche Schätzungen gehen sogar bis zum Doppelten, hat die Ausgelassenheit der wilden Zwanzigerjahre keineswegs gebremst. Lebenshunger ignoriert Gefahr.

Das wird auch diesmal sein. In Venedig hätte man gerne wieder ein paar Kreuzfahrtschiffe in der Lagune. In Salzburg oder Hallstatt hat man die Tagestouristen kaum noch ertragen, aber jetzt fehlen sie schon wieder. Kann man das rechte Maß verordnen? Wohl kaum. Regionalisierung hört sich jetzt gut an, aber die Globalisierung wird nicht gebremst, im Gegenteil. Die kommende Wirtschaftskrise wird die Kleinen zum Fraß für die Großen machen. Die Konzentration auf die Riesen wird zunehmen. Amazon ist der Krisengewinner schlechthin, auch wenn viele kleinere Händler jetzt munter geworden sind.

Hier lenkend einzugreifen wäre die Aufgabe starker Politik. Da freilich ist Vorsicht geboten, schon jetzt gibt es Sorge um Privatsphäre und Demokratie. Der Schulterschluss zwischen Regierung und Opposition war ohnedies nur kurz, schon wird wieder prinzipiell alles für schlecht befunden, was von der anderen Seite kommt. Und ob die EU, die nach der Flüchtlingskrise 2015 ihren zweiten Ohnmachtsanfall erlebte, wenigstens in ihrer Rolle als große Freihandelszone dazu die Kraft hat, muss sich erst zeigen. Kleinlicher, uralter Nationalismus erlebt eine Renaissance, diesmal nicht ideologisch bedingt, sondern virologisch.

Dass ein Coronavirus die Lernfähigkeit des Menschen erhöht, hat bisher noch keine der vielen Studien ergeben.

Hubert Nowak ist Journalist in Wien.

Kommentare