Ein Dom fällt, ein Land kann sich aufrichten

Die Trümmer von Notre-Dame zeigen auch, wie viel kollektives Unterbewusstsein darin verborgen liegt.
Konrad Kramar

Konrad Kramar

Ein seltsam anrührendes Bild, wie aus der Zeit gefallen: Menschen, die auf den Straßen von Paris knien und beten. Es schien ihnen wohl instinktiv die richtige Reaktion angesichts des vor ihren Augen in Trümmer fallenden Doms. Nationalsymbol nennt man ihn vielerorts, Hauptschauplatz der französischen Geschichte.

All das stimmt und greift doch zu kurz. Denn in Notre-Dame vereint sich das Bewusstsein einer Nation, in seiner historischen, gesellschaftlichen und religiösen Bedeutung.

In ganz Europa wird heute über verlorene Identitäten gesprochen. Identitäten, die Bürgern die Möglichkeit geben, sich wieder als Teil einer Gemeinschaft zu betrachten und nicht nur als Einzelkämpfer, die dann von der Individualität, die man ihnen als Lebensideal verkauft hat, überfordert sind.

Als die Trümmer dieser Kirche auf die Straße krachten, wurde vielen bewusst, was sie da verloren hatten, nicht nur in Paris. Die Identität Europas und seiner Menschen wird nun einmal zwischen Geschichte, Kultur, und Religion aufgespannt.

Das heißt nicht, dass diese Identität rückwärtsgewandt sein muss. Aber die Tragödie von Notre-Dame zeigt, wie viel aus diesen drei Elementen in unserem kollektiven Unterbewusstsein sitzt – und wie sehr daher nicht nur unsere Emotionen, sondern unsere Wertesysteme davon geprägt werden.

Frankreich und mit ihm Helfer aus ganz Europa werden diese Kathedrale wieder errichten, aus neuen und alten Steinen. Sie wird dadurch eine völlig neue Bedeutung bekommen. Auch Europa kann bei den Fragen nach seiner Identität auf diese alten Steine nicht verzichten, wenn es sich auf die Suche nach den neuen macht.

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