Die Welt war nie heil

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Steht unser Leben an der Kippe? In Europa grassieren berechtigte Zukunftsängste. Aber ein neues Phänomen ist das nicht. Mehr Optimismus bitte!
Martina Salomon

Martina Salomon

Wollen Sie auch keine „bad news“ mehr hören? Zum Beispiel, dass die Pandemie mit neuer, besorgniserregender Variante schon im Sommer zurückkehren könnte. Dass die Preise explodieren. Dass die Asylwerber-Zahlen stark steigen. Vom Klimawandel gar nicht zu reden. Möglicherweise tanzen wir gerade auf dem Vulkan: Zwar gibt es heute noch ein geradezu absurd hohes Wirtschaftswachstum, das aber schon morgen, also im nächsten Quartal, ganz anders aussehen wird. Die Politik reagiert mit riesigen, zum Teil eher planlosen Geldpflastern, finanziert mit einer Niedrigzinspolitik, die das Vermögen des Mittelstandes vernichtet und den Immo-Markt überhitzt.

Aber ist die Realität wirklich nur traurig – und war früher alles besser? Natürlich nicht. Hören wir auf, die Vergangenheit zu verklären. Das ist übrigens kein neues Phänomen: Beendet ein Politiker seine Karriere, wird er „bald heiliggesprochen“. Hermann Schützenhöfer wird das schnell bemerken. Wobei die SPÖ in Geschichtsschreibung begabter ist als die ÖVP. Bruno Kreisky (der die Aufbruchstimmung der 1970er nutzte, aber durchaus nicht skandalfrei regierte) gilt als Titan. Sein Vorgänger Josef Klaus, ein Reformer, ist hingegen vergessen. Wolfgang Schüssel polarisiert noch heute, während bei Franz Vranitzky nur noch Positives in Erinnerung ist.

Schon oft grassierte Zukunftsangst: Kalter Krieg, RAF-Terror, Nahostkrisen, Saurer Regen, Waldsterben und die Anschläge auf das World Trade Center haben ebenfalls Weltuntergangsstimmung ausgelöst. Auch eine Welt ohne Krieg gab es leider nie. In Bosnien war er uns bereits einmal in der Zweiten Republik besonders nahe. Und die Grenzen des Wachstums hat der elitäre Club of Rome bereits 1972 prophezeit, gestimmt hat es nicht. Aber vielleicht jetzt?

Weil sich unser Land derzeit wahrscheinlich an der absoluten Wohlstandsspitze befindet, ist die Abstiegsangst berechtigt. In den aufstrebenden asiatischen Ländern hingegen erwartet niemand schon morgen das Ende der Zivilisation. Wenn man annehmen kann, dass es bergauf gehen wird, empfindet man problematische Verhältnisse als weniger drückend. Vor 50 Jahren regte sich in Österreich niemand über beengte Substandardwohnungen mit Klo am Gang auf. Die jährliche Flugreise war ein unerfüllbarer Luxus, und selbst der autofreie Tag in der Ölkrise wurde mit Fassung getragen.

Eine pessimistische Gesellschaft, die womöglich sogar auf Kinder verzichtet, gibt sich auf. Lasset uns pfingstlich erleuchtet positiver in die Zukunft schauen. Schließlich hat die Menschheit schon viele Krisen bewältigt. Wir haben ohnehin keine Alternative, als die heraufdrängenden Probleme zu bewältigen – gerade weil der Blick nach Osten und die Nachrichten von dort so furchtbar sind.

Martina Salomon

KURIER-Herausgeberin Martina Salomon

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