Die verschobene Mitte

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Im Zeichen von Toleranz, Antidiskriminierung etc. wird zunehmend das Gegenteil praktiziert – zum Schaden des öffentlichen Diskurses.
Rudolf Mitlöhner

Rudolf Mitlöhner

Wir haben ein Problem. Der sogenannte öffentliche  Diskurs zeichnet sich zunehmend durch Hysterisierung und ideologische Einseitigkeit aus. Alles hat im Zeichen von Toleranz, Antidiskriminierung und Inklusion zu geschehen – diese und andere hehren Begriffe heften sich die selbst ernannten Hüter der politischen Korrektheit auf die Fahnen. Aber das Meinungsklima wird tendenziell intoleranter: weil die Benennung von Unterschieden, die ungleiche Behandlung von Ungleichem oft schon als Diskriminierung gilt (wobei Diskriminierung im Wortsinn nichts anderes bedeutet als Unterscheidung). Erzeugt wird solcherart Exklusion: der Ausschluss unerwünschter Sichtweisen. Von „Toleranzforderungen im Tonfall des Fanatismus“ spricht hier die Neue Zürcher Zeitung.

Wir empören uns zu Recht über Hass und Fake News im Netz (oder sonst wo) – aber sie werden meist nur auf der rechten Seite des Politspektrums vermutet. Wobei bei „rechts“ sehr schnell „-extrem“ hinzugefügt wird, während „links“ eher mit „-liberal“ verknüpft wird. So gelten auch die  zuletzt wieder hierzulande auffällig gewordenen türkischen „Grauen Wölfe“ als rechtsextrem, während die Gegenseite aus dem Umfeld des Kirchweger-Hauses offenbar für das Wahre, Gute und Schöne eintritt, schlimmstenfalls mit untauglichen Mitteln. Der Behübschungen für linksradikale Gruppierungen sind ja viele: von „antifaschistisch“ bis „autonom“, „antiimperialistisch“ und „-kapitalistisch“ sind sie sowieso.

Im Fall der Türken/Kurden-Demos gibt es noch einen besonders bizarren Aspekt: „Graue Wölfe“ & Co. mögen unter „rechtsextrem“ subsumiert werden. Sie haben aber ziemlich genau gar nichts mit jenen zu tun, die in unseren Breiten mit dem Attribut bedacht werden: Die hiesigen Vertreter einer restriktiven Migrationspolitik und eines Law-and-Order-Kurses sind auch jene, die am deutlichsten gegen die Präsenz radikaler Gruppen ausländischer Herkunft auftreten (teils auch mit fragwürdiger bis inakzeptabler Rhetorik, zugegebenermaßen).

Unbeantwortet bleibt im übrigen bei all dem (auch regierungsoffiziellen) Kampf gegen Hass etc., wo genau die Grenze zwischen „Hass“ und pointierter Meinungsäußerung verläuft. Man geht wohl nicht fehl, dass der eigene Standort diese Grenzziehung wesentlich bestimmt. Liberalen und Konservativen fehlt hier freilich meist die Entschlossenheit der Linken, weswegen der „Hass“ und die „Fake News“ der einen Seite dem „Kampf“ und der „Kritik“ der anderen gegenüberstehen, Letztere gerne durch das Prädikat „zivilgesellschaftlich“ geadelt.

Das Koordinatensystem in unserer kurzatmigen, erregungsgetriebenen Öffentlichkeit hat sich bereits dramatisch verschoben und verschiebt sich weiter. Beschädigt wird, was man zu schützen vorgibt.

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