Aber die politische Stimmung ist auf Bundesebene schon dermaßen aufgeheizt, dass selbst mahnende Worte des Bundespräsidenten ergebnislos verpuffen. Falsch handelt immer nur das Gegenüber, für kritische Selbstreflexion ist da kein Platz mehr. Die Opposition ist nur in der Forderung „Kanzler Kurz muss weg“ geeint, die ÖVP hält mit immer schärferen Worten dagegen und die Grünen laufen Gefahr, dazwischen zerrieben zu werden. Das führt zu so kuriosen Planspielen wie jenem von FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl, der im Parlament mit seiner Partei eine Regierung von SPÖ, Grünen und Neos unterstützen würde – ohne Neuwahlen, nur um die ÖVP zu stürzen. Dass er dafür von Niederösterreichs SPÖ-Landesparteiobmann Franz Schnabl zustimmendes Nicken erhalten hat, unterstreicht, dass schön langsam alles auf den Kopf gestellt wird.
Da wirken für viele, mittlerweile genervte Beobachter die Worte von Wiens SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig, die er am Sonntag in einem KURIER-Interview äußerte, wie Balsam. Für ihn kommt ein fliegender Wechsel nicht in Frage. Er hält grundsätzlich nichts von politisch instabilen Verhältnissen. Im Gegensatz zur politischen Kaste im Parlament, die sich immer mehr verselbstständigt und von der Bevölkerung entfernt, weiß Ludwig als Landeshauptmann, was die wirklichen Sorgen der Menschen sind. Die Antwort darauf findet man nicht in gehässigen Debatten auf Twitter, sondern auf der Straße.
In Anbetracht der fragilen Situation auf Bundesebene stehen die Landeshauptleute jetzt mehr im Blickpunkt. Sie haben zwar im Corona-Jahr nicht immer die beste Figur abgegeben, sie haben zwar nicht für alles die besten Lösungen gefunden, aber sie sind politisch momentan der stabile Faktor in der Republik. Ihr Handeln ist pragmatischer, weil sie Vorgaben vor Ort umsetzen müssen. Reine Parteipolitik rückt so rasch in den Hintergrund und verhindert nicht den klaren Blick auf die Probleme. Zur Stunde der Landeshauptleute könnte die Situation werden, wenn sie ihre Parteien auch im Bund zur mehr Sachlichkeit zwingen. Ihre innerparteiliche Macht hätte da sicherlich noch mehr Gewicht als die Worte des Bundespräsidenten.
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