Doch lassen wir auch hier die Kirche im Dorf: Natürlich ist es die Aufgabe des Wiener Bürgermeisters, das Gespräch mit seinem Pendant in Kiew zu suchen, vielleicht sogar Hilfe anzubieten. Ludwig ist ein kluger und gleichzeitig vorsichtiger Politiker, der nicht über die Internet-Leitung Staatsgeheimnisse verrät. Und dass er einem Betrüger oder Geheimdienst auf den Leim gegangen ist, ist bitter, aber auch anderen Spitzenpolitikern in Europa von Madrid bis Berlin passiert und nicht vergleichbar mit den Peinlichkeiten mit einer falschen Oligarchin in Ibiza. Dennoch sollte Ludwig mit den heimischen Ermittlungsbehörden kooperieren und die Anbahnungsmails und Gesprächsinhalte offenlegen.
Heikler war da schon Ludwigs Besuch vor einigen Wochen beim türkischen Präsidenten Erdoğan. Offenbar war über den Besuch lange niemand aus der Republik informiert. Das Außenministerium erfuhr von der türkischen (!) Botschaft in Wien vom bevorstehenden Treffen. Einen echten Austausch über die Linie Österreichs gegenüber der Türkei gab es nicht. Dabei spielt Erdoğan eine entscheidende Rolle am Schnittpunkt zwischen Ost und West, zwischen Russland und der NATO. Der gestrige Staatsbesuch von Nationalratspräsident Sobotka bei Erdoğan soll daher mit Außenminister Schallenberg penibel abgestimmt worden sein.
Außenpolitische Auftritte eignen sich zur Optimierung des Bildes eines Politikers in der Öffentlichkeit besonders gut. Schon Sebastian Kurz wusste auf diesem Klavier zu spielen, er war aber dabei Außenminister und Bundeskanzler und begab sich gerne bei innenpolitischen Problemen auf das internationale Parkett, Kritiker verspotteten es als PR-Fototour. Auch Landespolitiker wie Erwin Pröll nutzten die Nähe zu ausländischem Spitzenpersonal zur Steigerung der Persönlichkeitswerte. Doch nie darf dieses Ziel über sicherheitspolitischen oder strategischen Zielen der Republik stehen.
Putin gelingt es, die westliche Allianz mit seiner Energiepolitik zu spalten. Erste kritische Stimmen über die Inszenierung des ukrainischen Präsidenten Selenskij werden laut. Der Krieg verschwindet aus den Medien und droht zum wenig beachteten Dauerzustand wie in Syrien oder im Jemen zu werden. Daher muss die Außenpolitik eines Landes eine einheitliche Linie haben, minimale Abweichungen sind schädlich. Das war in der Zweiten Republik Konsens. Über Parteigrenzen hinweg. Vielleicht ist an der Klitschko/Ludwig-Posse gut, dass das wieder bewusst wird. Staatsaffäre ist sie jedenfalls keine.
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