Familien alleingelassen?
Bei der Pflege, und damit sind wir beim aktuellen Thema, ist die Sache anders. Völlig anders.
Sechs von zehn Österreicher plagt die Angst, sich Pflegeleistungen im Alter nicht leisten zu können; fast drei Viertel der Menschen sind überzeugt, die Familien würden mit der Verantwortung für die Pflege alleingelassen.
Nun ist es ja nicht so, dass vergangene Regierungen rein gar nichts unternommen hätten: Trotz Pandemie und Teuerung hat die türkis-grüne Koalition viel Geld in drei Pflege-Pakete gesteckt: Pflegekräfte bekamen ein zusätzliches Monatsgehalt und eine Extra-Urlaubswoche ab dem 43. Lebensjahr; es wurden Stipendien für Berufsum- und -einsteiger bezahlt, für Pflegende gibt es heute einen Rechtsanspruch auf drei Monate Karenz.
Und dennoch: Obwohl all diese Verbesserungen passiert sind, ist die allgemeine Gemütslage bescheiden.
Man könnte dies damit abtun, dass die Bevölkerung eben uninformiert und/oder etwas undankbar ist.
Pflege-Föderalismus
Man könnte aber auch nachdenken, ob es allenfalls an einer Politik des Klein-Klein liegt. Vor gut 20 Jahren hat der KURIER im Wahlkampf erstmals das Thema des Pflegenotstandes groß hochgezogen. Und auch wenn zum Himmel schreiende Ungerechtigkeiten wie der von Bundesland zu Bundesland höchst unterschiedlich geregelte Pflegeregress mittlerweile abgeschafft worden sind, ändert das nichts daran, dass noch etliche große Themen offen sind. Ein Beispiel: der aus der Zeit gefallene Pflege-Föderalismus.
Noch immer leistet sich die Republik neun Pflegesysteme mit unterschiedlichen Qualitäts- und Förderstandards. Noch immer wird akzeptiert, dass sich pflegende Angehörige im Burgenland beim Land um 2.200 Euro netto anstellen lassen können – und in anderen Bundesländern nicht.
Die Dreierkoalition im Bund wird auch daran zu messen sein, ob sie im Pflegebereich große Reformschritte wagt. Gelegenheit dazu hätte sie ab sofort: Die nächsten zwei Jahre steht keine große Wahl ins Haus, das Budget ist klamm, der Reformdruck erheblich.
Wie gesagt: Ein Blinddarmdurchbruch macht den Menschen in Zicksee nicht mehr oder weniger Sorgen als in Innsbruck. Wann gilt das endlich auch für die Pflege?
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