Die noble Erklärung dafür wäre schlechtes Gewissen angesichts einer allfälligen sozialen Besserstellung; eine andere, ebenfalls wohlwollende: die Skepsis gegenüber allen großen Erzählungen, eben auch der eigenen; die weniger feine: die schon oft zitierte „bürgerliche Feigheit“. Was auch immer es ist – vermutlich von allem etwas –, hier liegt eine strukturelle Schwäche dieses politischen Lagers, welche über weite Strecken mangelnde Geschlossenheit und Mobilisierungsfähigkeit mit sich gebracht hat.
Der sensationelle Wahlsieg der Grazer KPÖ passt genau in dieses Bild. Die Spitzenwerte der Kommunisten auch und gerade in den Villenvierteln der steirischen Landeshauptstadt sind ein Menetekel. Nein, der dunkelrote Erfolg wird sich nicht auf ganz Österreich ausrollen lassen. Aber es gibt auch keinen Grund, den deutlichen Linksruck nicht beim Namen zu nennen.
Es ist ziemlich atemberaubend, wie in zahllosen Analysen und Stellungnahmen versucht wird, den KP-Sieg gewissermaßen zu entideologisieren. Elke Kahr, die Parteichefin und mutmaßliche künftige Grazer Bürgermeisterin, sei halt authentisch, habe ein offenes Ohr und Herz für die Nöte der Menschen und dergleichen mehr ist zu hören. Das sei ihr unbenommen. Allerdings spricht nichts dafür, dass der Kommunismus styrianischer Prägung irgendetwas zur Behebung dieser Nöte, zur Entschärfung sozialer Problemlagen beitragen könnte. Die Gesinnungsgenossinnen und -genossen von Frau Kahr haben vielmehr immer noch, wann und wo sie Gelegenheit dazu hatten, Not, Elend und verbrannte Erde hinterlassen.
Im Übrigen: Ist es vorstellbar, dass einer der zahlreichen KP-Versteher einen (derzeit ohnedies nicht gegebenen) FPÖ- oder AfD-Erfolg nach demselben Muster zu erklären versuchte? Das sei kein Rechtsruck, das habe nichts mit Ideologie zu tun, da habe nur jemand die Sorgen und Nöte der Menschen vor ungesteuerter Migration, vor Islamisierung und Verlust kultureller Identität verstanden … Eben.
Vermutlich fände sich in Graz (und nicht nur dort) auch eine Mehrheit für die Enteignung der großen Wohnungsgesellschaften. In Berlin – wo am Sonntag ebenfalls auf Bundes- wie auf kommunaler Ebene mit starker Linkstendenz gewählt wurde – stimmten mehr als 56 Prozent dafür. Zu dem Thema kursiert ein treffendes Meme (Bild) im Netz: Verfallene Häuser auf Kuba, darüber der Titel „30 Jahre Mietpreisbremse“.
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