Deradikalisierung ist angesagt

Wo sind die liberalen Muslime als Partner gegen ultrakonservative, aggressive Koran-Auslegungen?
Martina Salomon

Martina Salomon

Die Hoffnung auf einen liberalen europäischen Islam wird täglich mehr enttäuscht.

von Dr. Martina Salomon

über das Zusammenleben mit Muslimen

So umstritten es war, so segensreich ist es aus heutiger Sicht: das österreichische Islamgesetz. Sehr, sehr spät, aber doch, verhindert es (hoffentlich!), dass Prediger vom Ausland bezahlt und gelenkt werden. Diese Entschlossenheit vermisst man noch immer in anderen Bereichen. Diesen Donnerstag fand immerhin ein Gipfel im Bundeskanzleramt mit Vertretern islamischer Gruppierungen statt. Man will sich gemeinsam um Deradikalisierung bemühen. Gut so. Und wann wird endlich dubiosen Vereinen die Subvention gestrichen? Gezielt säkulare Repräsentanten des Islam zu fördern wäre wichtig. Leider sind sie in der heimischen Muslime-Community in der Minderheit. Die große Hoffnung auf einen liberalen europäischen Islam wird täglich mehr enttäuscht. Woher sollte er auch kommen?

Der Arabische Frühling hat viele Länder des Nahen Ostens in mittelalterliche Stammeskämpfe zurückgeworfen. Die Folgen könnten selbst die EU zerstören: Zuwanderungsströme inklusive das Hereintragen religiös-kultureller Konflikte nach Europa plus das Erstarken populistischer Parteien in Gegenreaktion dazu haben eine schwere politische Krise ausgelöst. Eine Vielzahl von Menschen denkt und wählt längst anders, als es die europäischen "Eliten" erwarten, siehe Brexit.

Jahrzehntelang ignorierte man die islamische Missionierung Europas – vor allem durch Saudi-Arabien, das seit Langem ultrakonservative Vereine im Ausland finanziert. Parallel dazu hat sich die Türkei (starker NATO-Partner Europas und einst dank des Offiziers Mustafa Kemal Atatürk Vorreiter einer Trennung von Religion und Staat in der islamischen Welt) zu einer autoritär-nationalistischen Gesellschaft gewandelt. Die EU-Milliarden für den Aufbau eines Rechtsstaates waren wohl eine Fehlinvestition.

Präsident Erdogan tritt seit Jahren imperialistisch auf – wenn er an "seine" Türken im Ausland appelliert, sich nicht zu integrieren. Niemand kann von seinen Plänen überrascht worden sein. Er hat sie immer offen dargelegt. Das Ergebnis war vergangene Woche sichtbar, als Tausende seiner Fans sogar mit vereinzelten Tötungsaufrufen durch Wien zogen. Sie nutzten Österreichs Meinungs- und Religionsfreiheit zur Unterstützung eines Autokraten, der beides nicht akzeptiert – pervers und verabscheuungswürdig.

Nun haben Koran-Verteiler angekündigt, mit Megafon in Wien für Allah zu werben. Das wird das Bild des durch die vielen Anschläge nur noch furchterregend erscheinenden Islam in Österreich weiterhin verdüstern. Das Misstrauen auf beiden Seiten steigt nach den Vorfällen in Paris, Nizza und nun auch München. Was übrigens genau dem IS in die Hände spielt, der keine Assimilierung der Muslime in den "dekadenten" Westen will. Wenn wir unsere freie, liberale, humane Gesellschaft erhalten wollen, müssen wir ernsthaft dagegen aufrüsten, ohne die vielen problemlos hier lebenden Muslime an den Rand zu drängen. Im Gegenteil, sie sollen als Verbündete im Kampf gegen die aggressive Seite des Islam gewonnen werden.

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