Der unsouveräne Staat

PK zur Jahresbilanz der Bundesregierung
Die Politik lässt sich zunehmend von externen Institutionen bevormunden, etwa vom EuGH. Und neuerdings von einem Bürgerrat
Martina Salomon

Martina Salomon

Wie mächtig ist die Politik wirklich? Zunehmend werden Entscheidungen an andere Institutionen abgegeben – freiwillig und unfreiwillig. So wird der Europäische Gerichtshof – wenn er so wie üblich seinen Gutachtern folgt – die Indexierung der österreichischen Familienbeihilfe kippen.

Türkis-Blau hatte ja seinerzeit beschlossen, diese Sozialleistung für nicht in Österreich lebende Kinder ausländischer Arbeitnehmer an das Kostenniveau des Herkunftslandes anzupassen. Unlogisch ist die Regelung nicht, auch EU-Diplomaten bekommen Zulagen je nachdem, wie hoch die Lebenshaltungskosten im jeweiligen Land sind.

Prinzipiell sollte man meinen, dass die Souveränität eines EU-Mitgliedsstaates so weit reicht, dass er über diese Ausgaben selbst bestimmen kann. Schließlich schreibt die EU auch nicht einheitliche Löhne, Pensionen oder Sozialleistungen vor (noch?). Wäre das der Fall, würden Österreicher übrigens Geld verlieren. Selbst beim reichen Nachbarn Deutschland bezieht man deutlich niedrigere Pensionen und muss dafür länger arbeiten. (Wir warten also gespannt, ob der EuGH ebenso verhindert, dass die Gewinne aus der absurden Impflotterie nur in der regionalen Wirtschaft eingelöst werden dürfen.)

Gut möglich, dass der Brexit auch eine Folge solcher Entscheidungen war. Die Briten wollten sich – etwa in Sachen Ausländerpolitik – nicht länger von EU-Richtern und deutschen Moralvorstellungen bevormunden lassen. Aktuell laufen wir Gefahr, auch mitteleuropäische Länder wie Ungarn oder Polen zu verlieren. Ehemalige Ostblockländer sind besonders allergisch gegen paternalistische Strukturen, unter denen sie im Sowjetkommunismus lange litten.

Österreichs Regierung engt aber sogar freiwillig ihren Handlungsspielraum ein. So schuf sie einen „Klimarat“ aus (angeblich) zufällig ausgewählten Bürgern, die die Umweltpolitik mitbestimmen sollen: ein willkürliches Gremium, das mittels eines Dutzends „Moderatoren“ in die richtige Richtung gelenkt werden soll. Damit kann man unpopuläre Entscheidungen an die „Bürger“ delegieren. (Schließlich befeuert die Energiewende schon jetzt die Preise.) Das erinnert an schwache Manager, die unangenehme Umstrukturierungen an Berater auslagern.

Wenn Politiker, diesfalls Ministerin Gewessler, nicht mehr an die repräsentative Demokratie glauben und sie mithilfe von durch nichts qualifizierten „Bürgerräten“ aushebeln wollen, dann sollen sie das bekennen. Neben der schwächelnden Nebenregierung der Sozialpartnerschaft und der auch in der Verfassung nicht vorkommenden Landeshauptleutekonferenz sind weitere „Räte“ entbehrlich. Da wird versucht, Ideologie „über die Bande“ zu spielen. Wir sollten genau schauen, dass das Umgehen demokratischer Institutionen nicht zur „neuen Normalität“ wird.

Martina Salomon

KURIER-Herausgeberin Martina Salomon

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