Der Glaube und das Glauben

Der Glaube und das Glauben
Ein frohes Osterfest allen Leserinnen und Lesern. Verbunden mit einem Wunsch, der viel verlangt, aber sehr viel brächte.
Gert Korentschnig

Gert Korentschnig

Ostern ist für Christen das Fest der Auferstehung, und wer gläubig ist, glaubt an jene Jesu Christi und an das ewige Leben. Über Jahrtausende hinweg war der Glaube eine zentrale Stütze der Menschheit, heute verlieren sich immer mehr in anderen Dogmen. Egozentrik ist die wichtigste neue Religion. Auch Wissenschaftsfeindlichkeit steht knapp vor der offiziellen Anerkennung (und gilt in manchen Regionen de facto als anerkannt). Der Kapitalismus, der schon Religionsstatus hatte, tut sich gerade etwas schwerer, weil durch die Pandemie oder auch durch die hohe Inflation (immer weniger Junge glauben daran, sich künftig noch etwas leisten zu können) andere Werte wichtiger werden. Quer durch alle Lebensbereiche – von der Antriebsart des Autos über jene der Heizung bis zu jener des menschlichen Körpers, also der Nahrung – gibt es neuerdings geradezu biblische Gebote.

Der Glaube ist in Mitteleuropa im Wandel wie schon lange nicht (sofern zeitliche Maßstäbe angesichts des Ewigen überhaupt zählen). Und die katholische Kirche bewegt sich dabei mehr als so manche politische Partei, nämlich auf Andersdenkende zu. Doch reden wir lieber anlässlich des wichtigsten christlichen Festes – und Christentum steht immer noch für Nächstenliebe – nicht nur über den, sondern auch über das Glauben. Das ist noch stärker aus der Zeit gefallen als der Glaube. Wer glaubt heute noch jemandem, der anderer Meinung ist? Wer nimmt Argumente, und seien sie noch so stichhaltig, ernst, wenn sie der eigenen Überzeugung (oder dem eigenen Vorurteil) widersprechen? Wer ist noch bereit, mit Geist und Verstand auszureiten, um inhaltliche Gefechte zu führen, die am Ende der Debatte vielleicht ein konstruktives Ergebnis bringen könnten?

Seinerzeit war es eine Selbstverständlichkeit, gegensätzliche Positionen als Bereicherung und als Voraussetzung für eine Diskussion anzusehen. Unsererzeit ist jeder Widerspruch Auftrag zur scharfen Abgrenzung und führt zu Hasstiraden. Allzu viele schaffen es nicht mehr, dem anderen zu glauben, obwohl es ja zumeist nicht nur eine Wahrheit gibt. Beispiel Politik: Links ist böse oder gut, je nach Perspektive, rechts dito, und was der eine sagt, kann der andere nie akzeptieren – da haben eigene Machtansprüche inhaltliche Auseinandersetzungen längst überlagert.

Aber auch in anderen (teils radikalen) Meinungszirkeln ist kaum noch jemand gewillt zu glauben, dass es dem anderen am Ende des Tages selbst bei völlig unterschiedlichen Zugängen auch nur um das Beste für die Gesellschaft gehen könnte. Aneinander zu glauben, andere Meinungen zunächst einmal anzuerkennen, ist passé, der Andersdenkende wird als Feind wahrgenommen, nicht mehr als Mitmensch. Das Wort „Versöhnung“ ist mittlerweile diskreditiert. Versuchen wir es zumindest mit Vertrauen.

Der Glaube und das Glauben

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